Wenn einer dem anderen „Hals- und Beinbruch“ wünscht, dann muss man das nicht wörtlich nehmen, nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen. Denn im Ursprung dieser Redewendung stecken weder Knochen noch Katastrophen: Sie stammt aus dem Jiddischen, „Hatsloche und broche“ bedeutet „Gelingen und Segen“. Und das ist nur eine der Wendungen in jüdischer Sprache, die das Jüdische Museum Augsburg Schwaben jetzt den Besuchern erklärt. In der ehemaligen Synagoge in Kriegshaber hängen Dreh-Schilder, Vorderseite Begriff, Rückseite Erklärung: Schmusen – bedeutet in der jiddischen Herkunft „vertraut plaudern“. „Kaff“ – steht für ein kleines Dorf. In der neuen Ausstellung „Jiddisch. Jüdisch. Taitsch.“ erforscht das Museum Frage wie: Woher stammt das Jiddische? Wie hat es Unterdrückung, Verfolgung und Holocaust überlebt? Wo spricht man die es heute noch? Und: Wie klingt die Sprache?
Museumsdirektorin Carmen Reichert erklärt: „Uns geht es hier darum, eine Sprache vorzustellen, die in unserer Region 800 Jahre lang gesprochen wurde. Die heute noch die Kultur an vielen Orten der Welt prägt. Und wir wollen daran erinnern, dass sie überlebt hat.“ Heute beherrschen in der Israelitischen Gemeinde Schwaben-Augsburg nur noch ein paar Menschen das Jiddische wie ihre Muttersprache. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie gab es einen Gesangskreis für jiddische Lieder. Aber über lange Zeit, als Kriegshaber ein Zentrum jüdischen Lebens war, hörte man das Jiddische auch überall als Alltagssprache in der Gemeinde – bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, als es verdrängt wurde. „Viele in der Gemeinde waren des Hebräischen, also der heiligen Sprache, nicht so gut mächtig“, erklärt Reichert. „Man brauchte also die Übersetzung ins Jiddische.“ Und jetzt zeigt die Ausstellung in dem Raum, wo früher Gottesdienst gefeiert wurde, woher die Sprache kam.
Das Jiddische stammt aus derselben Wurzel wie das Deutsche
Das Jiddische trägt viele Namen. „Mameloshn“ zum Beispiel, was Muttersprache bedeutet. Oder auch „Taitsch“, weil Jiddisch aus derselben Wurzel wie das Deutsche stammt. Hier entwickelte sich das Jiddische vor etwa 1000 Jahren aus dem Mittelhochdeutschen. Eine Landkarte zeigt, wie die Sprache sich verbreitete: Im westgermanischen Sprachraum, über Süd-, Ost-, West-Europa, in Varianten. Und auch wenn im Jiddischen viel Deutsch steckt und es viele Färbungen kennt, bildet es eine eigenständige Sprache.
„Augsburg war einer der ersten Orte, an denen Jiddisch gedruckt wurde“, erzählt Reichert. Hier schuf der Drucker Samuel Chaim kleine und große Druckkunstwerke – obwohl es Juden und Jüdinnen von 1438 bis Mitte des 19. Jahrhunderts verboten war, in der Stadt zu wohnen. Zu Chaims Schöpfungen gehört auch das „Sefer Schmuel“-Buch von 1544, durch das man sich hier an einem Tablet klicken kann. An einer Hörstation liest eine Männerstimme aus jiddischen Heldenbüchern der Zeit Erzählungen vor. Man kann ihnen folgen, sie fast schon flüssig verstehen.
Es gibt auch Rockmusik mit jiddischen Texten
Denn so eine Sprache wird geschrieben und gelesen: Auf einer Holztafel zeigt und erklärt das Museum das jiddische Alphabet – mit Übersetzung und Entsprechung. Kleine Schablonen liegen auf den Büchertischen, um die Buchstaben auf Papier nachzufahren. Und so eine Sprache wird gesprochen: Auf Tablet-PCs hört man jiddische Worte und auch Musik. Eine Punk-Band rockt auf Jiddisch in einem Pariser Club. Das Augsburger Ensemble Feygele spielt sein Neujahrskonzert mit jiddischen Liedern. Mit den Workshops und Vorträgen zur Ausstellung soll die Hörsammlung wachsen: Mitschnitte werden als Video in die Schau eingebaut.
Die Ausstellung zeigt in Beispielen, auch in ganz alltäglichen Briefwechseln, wie sich die Sprache entwickelt hat: Sie half, Kontakt zu halten, auch über die Ferne, zur weit verstreuten Familie. Denn in das Jiddische hat sich auch eine Geschichte von Trennung, Unterdrückung, Vertreibung, Holocaust und Überleben eingeschrieben. Die Sprache verbindet sich mit Erinnerung: „Von den sechs Millionen Juden und Jüdinnen, die im Holocaust ermordet wurden, waren etwa fünf Millionen jiddischsprachig“, erklärt Reichert. An den Wänden hängen Schwarz-weiß-Fotografien aus den „Displaced Persons“-Camps: Dort strandeten viele jüdische Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg, und dort pflegten sie ihre Sprache weiter: An der Wand hängen Zeitungen aus den Camps, auch Plakate, die Theatergastspiele ankündigen, in Jiddisch verfasst.
In den Metropolen lebt die Sprache weiter
Die Sprache lebt weiter, auch heute – als Muttersprache zwar nicht mehr in Schwaben, aber in Israel, in Städten wie New York, London, Antwerpen. „Das Jiddische ist keine sterbende Sprache“, sagt Carmen Reichert. Heute zähle die Sprache rund eine Million Muttersprachler und Muttersprachlerinnen, schätzt die Museumsdirektorin – die über das Jiddische ihre Doktorarbeit verfasst hat. „Vor allem in streng religiösen jüdischen Gemeinschaften wird das Jiddische weiter gepflegt. Es ist eine extrem produktive Sprache.“ Jiddisch passt sich Zeit und Umgebung an, borgt sich aus dem Englischen und anderen Sprachen. In Schulen, Workshops, Seminaren wird Jiddisch gelehrt und auch gefeiert: Plakate hängen an der Wand vom Festival „Yiddisch Summer“, das jedes Jahr in Weimar stattfindet.
Ein kleines, eigenes Kulturzentrum hat das Museum hier aufgebaut. „Wir wollten hier keinen Ritt durch die Geschichte. Wir möchten Jiddisch als Sprache ernst nehmen, als solche zeigen“, sagt Reichert. Hat die Museumsdirektorin selbst ein jiddisches Lieblingswort? Reichert lächelt. „Ich mag die Wörter Blitspost und Blitsbrief sehr gerne. Die Post, die so schnell kommt wie der Blitz, das ist das jiddische Wort für E-Mail.“
Info: "Jiddisch. Jüdisch. Taitsch": In der ehemaligen Synagoge Augsburg-Kriegshaber (Ulmer Straße 228). Bis 29. Juni 2025, geöffnet Donnerstag bis Sonntag 14 bis 18 Uhr. Weitere Infos, auch zum Begleitprogramm: www.jmaugsburg.de.
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