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Ausstellung: André Butzer und die Suche nach Orientierung

Ausstellung

André Butzer und die Suche nach Orientierung

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    Der Künstler André Butzer vor einem seiner getupften Aquarelle bei der Eröffnung der ihm gewidmeten Ausstellung im Augsburger Glaspalast.
    Der Künstler André Butzer vor einem seiner getupften Aquarelle bei der Eröffnung der ihm gewidmeten Ausstellung im Augsburger Glaspalast. Foto: Anna Kondratenko

    Diese Augen. Diese Blicke aus Mädchen-Augenwinkeln, neugierig, heiter, schelmisch. Sie begegnen den Betrachtern noch häufiger als die erschreckten – oder schreckeinflößenden – Augenhöhlen zu angstgebleckten Zähnen bei ihm, einem Mann. Seinem Geschau, ihrem Geschau kann man sich kaum entziehen, sind sie auch kindlich, comicähnlich vereinfacht ausgeführt, zeitgenössisch-stilisierte, wirkungsvolle Pendants zu Guido Renis glaubensverzückten, Henri Matisses dunkel leuchtenden, Amedeo Modiglianis bettschläfrigen Augen. Und: Sie sind auch ein Erkennungszeichen von André Butzers Kunst, die jetzt im H2 des Glaspalasts von der Augsburger Gesellschaft für Gegenwartskunst nicht zum ersten Mal gezeigt wird.

    Ihre mädchenhaft-neugierigen Augen und seine tödlich-erschreckten Augen bilden einen Gegensatz. In André Butzers Inspirationsgedankengebäude stehen die dazugehörigen Figuren – ebenfalls naiv auf den Bildträger gesetzt – für das Prinzip Hoffnung (sie) und die Auseinandersetzung mit Geschichte und Gewalt (er), abgeleitet vom Entsetzen in Edvard Munchs Gemälde "Der Schrei" sowie von einem Totenschädel. Butzer verkörpert in ihm einen erfahrungsbelasteten "Wanderer", während er im Mädchen mit dem schalkhaften Blick aus den Augenwinkeln der Idee des Schöpferischen und Utopischen Gestalt verleiht, wie es der Kunsthistoriker Christian Malycha, wohl bester Kenner des Werks Butzers, im Gespräch festhält. 

    Manche Figuren von André Butzer begegnen immer wieder

    An die 50 ältere und neue Zeichnungen und Gemälde umfasst diese Butzer-Kabinettschau der Gesellschaft für Gegenwartskunst. Die Schöpferische und der "Wanderer" begegnen den Besucherinnen und Besuchern immer wieder – und auch sich selbst. Nebeneinander gestellt, wirken sie geradezu wie Antagonisten der Weltgeschichte. Sie im einfachen Hängekleid, er in Pluderhosen. Als Protagonisten begleiten sie den Künstler seit etlichen Jahren; mit ihnen hat er Reputation erfahren, weltweit. Speziell das schöpferische Mädchen ist mittlerweile mehr als eine Vertraute, deren Züge und Darstellungen sich in der Zusammenschau abrunden. Sie trägt bereits, was durchaus zu bedenken und zu hinterfragen bleibt, Markenzeichencharakter.

    Jedenfalls gehört sie bei Butzer fest zum Vokabular der Bild-Sprache, wie sie bei jedem ernsthaften Künstler neu zu studieren, neu zu lernen ist. In André Butzers Welt gehört dazu auch das Liniengeflecht, das zeichnerische Gekröse, das anscheinend spielerische, improvisierte, gestische Kriekelkrakel – noch eine Vokabel seiner unverstellten, unmittelbaren Kunstentfaltung mit offensichtlichen Querbezügen zur Art brut. 1973 in Stuttgart geboren, darf man den heute in Berlin lebenden und arbeitenden Künstler eher als Autodidakten denn als Akademiker einordnen. Wenn er mit noch ungeübter Schülerschönschrift seine Werke signiert, dann ist dies die bewusste Pflege unverstellter Gutgläubigkeit. Nicht selten stellt sich bei Butzer der Eindruck her: Nicht er malt, sondern es malt in ihm. 

    Landschaften mit vielerlei Bezügen

    Wie aber sind die Labyrinthe, Irrgärten, die wie eine zeichnerische Vergewisserung von Unübersichtlichkeit, ja Chaos ausschauen, zu deuten? Für die Antwort dürfte die Inaugenscheinnahme eines dritten wesentlichen Bestandteils aus André Butzers Vokabular von Bedeutung sein. Jungen Datums ist seine ebenfalls im H2 zu sehende Landschaftsmalerei mit Bezügen zur deutschen Geschichte, zur eigenen Biografie, zum heutigen Lebensmittelpunkt Berlin. "Schlesien" wird gezeigt, "Altadena", wo Butzer nahe Los Angeles einmal gelebt hat, die Havel, der Wannsee – bevorzugt aus der Vogelperspektive festgehalten, einem Landschafts- und Felder-Fleckerlteppich ähnlich, der stark abstrahiert, stark freigestellt auch in getupften Aquarellen Butzers auftaucht. Hierbei ist übrigens eine Nähe zur Kunst Günther Förgs (Füssen 1952-2013 Freiburg) kaum zu übersehen.

    Naheliegend, dass die schönsten Arbeiten André Butzers, die die Gesellschaft für Gegenwartskunst traditionsgemäß auch auf Pulten zeigt, gleichzeitig seine dichtesten sind. Wenn man nun – etwa im sogenannten "Kirschmichel" (2023) – die drei wesentlichen Vokabeln Butzers in Ergänzung sieht, dann sieht man eine in einem Labyrinth befindliche Figur, hinterfangen von Landschaftsflicken. Woraus ein Interpretationsgedankengebäude ganz und gar nicht abwegig ableiten darf: Ein Individuum sucht in unübersichtlicher Welt nach Orientierung – und nach seinem Platz und nach seiner Überzeugung in ebendieser Welt. Kombinierend ergibt die Bild-Sprache Auskunft; man muss sie nur zu buchstabieren lernen. Das ist das Schöne an der Sprache und an der Kunst.

    André Butzer in der Halle H2 im Glaspalast, Laufzeit bis 14. Juli, Di. bis So. 10 bis 17 Uhr; der Katalog kostet 25 Euro.

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