Vor 25 Jahren kam in Augsburg ein Prozess ins Rollen, der in personeller Hinsicht nur Beschädigungen hinterließ. Der Stadtrat musste sich begründet vorwerfen lassen, er sei wankelmütig, ja opportunistisch, weil er mit breitester Mehrheit von ihm selbst befeuerte Abmachungen wieder rückabwickelte. Die Stifterin einer Millionensumme, die per Stadtratsbeschluss zweckgerichtet und mit großem Dank entgegengenommen worden war, wurde zutiefst verärgert. Ein namhafter Künstler musste zusehen, wie er in politischer Begeisterung erst den kommunalen Auftrag einer Skulptur für eine gute Stube der Stadt erhielt – und dann unter Beschämung eine verletzende Ausladung.
Lüpertz‘ Aphrodite löste vor 25 Jahren einen Augsburger Streit aus
Vor 25 Jahren nämlich kündigte Ellinor Holland an, die einstige Herausgeberin der Augsburger Allgemeinen Zeitung, sie wolle der Stadt zum 100. Geburtstags ihres Vaters Curt Frenzel im Jahr 2000 ein kulturelles Geschenk machen. Die Stadtspitze, auch in Person von Oberbürgermeister Peter Menacher (CSU), schlug ihr daraufhin unter anderem vor, eine Brunnenfigur auf dem Platz vor St. Ulrich zum Abschluss der Reihe historischer „Kaisermeilen“-Brunnen zu stiften – worauf Ellinor Holland mit Freude einging. Der zu beauftragende Künstler war Teil des Vorschlags: Markus Lüpertz, seinerzeit schon renommiert, dieser Tage vorgerückt auf Platz 53 in der Liste der weltweit bedeutendsten 100 Kunstschaffenden.
Doch als seine Bronze-Plastik „Aphrodite“ gegossen und 2000 im Rathaus enthüllt war, da gefiel sie – wie bei Kunst gang und gäbe – nicht allen Politikern und Bürgern. Insbesondere die liberale FDP und die damalige rechtsliberale FBU gingen gegen die Aufstellung vor, indem sie einen Bürgerentscheid bzw. eine Unterschriftenaktion starteten. Obwohl der Stadtrat Anfang 2001 fast einstimmig noch einmal die Errichtung der Aphrodite auf dem Ulrichsplatz bekräftigte, bröckelte nach einer Bürgerversammlung mit 300 Nein-Stimmen gegen 30 Ja-Stimmen (sowie im Kommunalwahlkampf) das Eintreten für das Projekt. Auch die Regierung von Schwaben als Rechtsaufsichtsbehörde konnte mit ihrer Feststellung, die Stadt müsse die Aphrodite vor St. Ulrich aufstellen, nicht verhindern, dass der zwischenzeitlich gewählte OB Paul Wengert (SPD) das Projekt zunächst auf Eis legte und dann, nachdem die Stifterin entnervt aufgegeben hatte, die Rückabwicklung der Stiftung vom Stadtrat beschließen ließ.
„Sie zu verstecken, wäre unwürdig gewesen“, sagte Ellinor Holland
Auch wegen der rechtlich eindeutigen Lage waren Ellinor Holland und Markus Lüpertz nicht bereit gewesen, die Aphrodite – wie von Teilen des Stadtrats vorgeschlagen – an einem anderen Platz der Stadt zu errichten. Ellinor Holland damals: „Sie zu verstecken, wäre unwürdig gewesen.“ Lüpertz seinerzeit: „Ich fühle mich als Künstler deprimiert, düpiert und als Demokrat beleidigt.“ Ende 2002 holte er seine Bronze zunächst wieder ab; doch schon lange befindet sie sich – auch als Mahnmal – wieder in Augsburg, vor dem Verlagshaus der Augsburger Allgemeinen in Lechhausen.
Vieles an dem unrühmlichen Vorgang damals bleibt hochinteressant bis heute, da sich nun auch eine Galerie im benachbarten Friedberg an die aufgeheizte Augsburger Stimmungslage vor rund 25 Jahren erinnert. Sollte in künstlerischen Fragen, zumal wenn es um eine ästhetische Fortentwicklung geht, eine politische oder eine Bürger-Mehrheit entscheiden (dürfen)? Was ist notwendig, um möglicherweise unpopuläre, gleichzeitig möglicherweise sinnstiftende Entscheidungen vorzubereiten? Was hätte man lernen können in Augsburg aus den vergleichbaren Ereignissen im Jahr 1992 rund um die Skulptur „Ostern“, heute vor dem Theater stehend? Ebenfalls ein Geschenk, zunächst für den Rathausplatz erhofft. Sowohl bei Ostern als auch bei der Aphrodite erregte schon allein die Namensgebung die Gemüter. Und: Was wäre geschehen, wenn Holland/Lüpertz 2001 auf ihre Abmachungen mit der Stadt beharrt hätten? Stünde dann die Göttin der Liebe – mehr oder minder auffällig, mehr oder minder beachtet wie „Ostern“ – heute vor St. Ulrich?
Die Friedberger Galerie am Berg widmet der Aphrodite eine Schau
Was nun die Friedberger Galerie am Friedberger Berg 7 anbelangt, so ist deren Betreiber nicht nur ein Überzeugungstäter in Sachen Kunst, sondern selbst auch ein Künstler und mit den Augsburger Vorgängen rund um 2000 geradezu verwoben: Wolfram Grzabka nämlich war es, der 2001 bei der Regierung von Schwaben eine Überprüfung jenes Augsburger Stadtratbeschlusses erbat, der von der Aufstellung der Aphrodite vor St. Ulrich wieder Abstand nahm. Grzabka hielt den Beschluss für rechtswidrig – und erhielt seitens der Regierung von Schwaben recht: Die Stadt sei Verpflichtungen eingegangen, „die sie erfüllen muss“. Aber zum Rechtsstreit kam es wie gesagt nicht, da die Stifterin entnervt aufgegeben hatte.
Nun jedenfalls sind in der Friedberger Galerie, wohl eine der kleinsten Deutschlands, unter anderem drei der mehrere Dutzend umfassenden Vorarbeiten zur Lüpertz-Aphrodite unter dem Titel „Die tragische Geschichte einer kraftvollen Skulptur“ zu sehen: ein kleiner Entwurf in Bronze, bei dem Aphrodite noch Flügelansätze trägt, eine kleine Radierung sowie ein mit Pastellkreide überarbeiteter farbiger Holzschnitt in mittlerem Format. Hinzu kommt ein eindrucksvolles Foto der Aphrodite im Augsburger Rathaus. Schon die allererste Ausstellung der Galerie vor knapp fünf Jahren war Lüpertz gewidmet; danach zeigte Grzabka Baselitz, Beuys, Götz, Immendorff, Uecker – wobei er weniger daran interessiert zu sein scheint, Kunst zu vertreiben als diese vor allem bei eingehender Betrachtung ins Gespräch zu bringen. Zum Beispiel hinsichtlich des Themas „Schönheit“, von der schon ein Dürer nicht wusste, was sie eigentlich sei.
Info: Grzabkas Räume haben keine offiziellen Öffnungszeiten, Besuch ist nach telefonischer Vereinbarung fraglos willkommen: 0821/6503880. Laufzeit: bis März 2025.
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