Das Wienerlied – abseits der namengebenden Stadt droht es im Dunst der Vergangenheit zu verschwinden, seitdem beim nachwachsenden Publikum selbst Namen wie Peter Alexander, Wolfgang Ambros, Michael Heltau oder André Heller (um nur die jenseits der Donaustadtgrenzen allerbekanntesten zu nennen) bloß noch ein Achselzucken hervorrufen. Wie gut, dass es da Günther Groissböck gibt! Der Sänger ist nicht nur einer der besten Opern-Bässe heutiger Zeit, weithin gefragt als Interpret von Wagners Tiefpartien und, seine Paraderolle, als Ochs im „Rosenkavalier“; Groissböck hat auch ein ausgeprägtes Faible für das Wienerlied.
Dieses ist ein echter Sonderfall, der nur gedeiht im Milieu zwischen Stephansdom und blauem Strom. Eine Liedform, wie sie irgendwann im 19. Jahrhundert auf dem Plan erschien, manche sagen, „zur Raimund-Zeit“. Im Wienerlied geht es so gut wie immer um Wienseligkeit, und es ist wohl kein Zufall, dass man da nur zwei Buchstaben vertauschen muss, um zu erfahren, worum es – nicht weniger wichtig – ebenfalls geht. Auch ist von der „guten alten Zeit“ immer gern die Rede in dieser Sorte Lied, und nicht selten kommt der Herrgott ins Spiel, aber mit dem ist man in Wien auf Du und Du. Zucker ist generell viel drin in der Melange, gepuffert durch Melancholie förderndes Bitterkraut – alles zusammen gut fürs Gemüt, bei Zuvielgenuss droht aber auch leicht Kopfweh.
Philharmonia Schrammeln Wien erweisen Mozart beim Mozartfest die Ehre
Das melodisch-rhythmische Fundament hingegen kann seine Herkunft aus dem Alpenraum nicht verleugnen, so ländlerhaft sich das Wienerlied dreht, wenn auch in sehr, sehr elastischem Tempo. Die klassische Instrumentalbeigabe ist das Schrammel-Quartett: zwei Geigen, ein Saiten-Unikum mit Namen Kontragitarre (und einem zweiten Hals für Basssaiten) sowie einer kleinen Knopfharmonika. Die Philharmonia Schrammeln Wien, die Günther Groissböck bei seinem Augsburger Auftritt im Kleinen Goldenen Saal begleiten, sind sogar in Überzahl, ihr fünfter Mann spielt auf der nicht weniger traditionellen Hoch-G-Klarinette, ein fadendünn hinaufpieksendes „Hölzl“. Zu Beginn des Konzerts beim Mozartfest verbeugen die fünf sich erst einmal musikalisch vor dem Festival-Namensgeber, indem sie Josef Lanners „Mozartisten“-Walzer darbieten, und Groissböck tut es ihnen nach, wenn er seinen erdig-voluminösen Pracht-Bass eingangs strömen lässt in Osmins Arie „Wer ein Liebchen hat gefunden“ aus Mozarts „Entführung“. Danach aber alles Wienerlied, jedenfalls so gut wie.
Einfach singen, das brächte diese Lieder um ihre Wirkung – man muss sie schon zum Besten geben. Das tut Groissböck, und er tut es überzeugend, denn er weiß um die subtilen Zwischentöne, die da zwischen den Textritzen darauf warten, hervorgezogen zu werden. Wer könnte überzeugender sein als dieses fesche Sängermannsbild, wenn da im Lied nach den „schönen Maderln“ geschielt wird; und wie könnte man Gröissböck den „klana Lausbua“ nicht abnehmen, wenn der dazu den Mund bis ans Ohr zum kecken Schlitz verzieht!
Bei Günther Groissböck wird gewienert mit Geschmack
Als erfahrener Rollengestalter weiß er auch, wie man die Wirkung des (fiktiv genossenen) Weins von Refrain zu Refrain zu kumulieren hat, ohne Geschmacksgrenzen zu übertreten. Natürlich verlangt das „Weanalead“, dass da gewienert wird, aber der Nichtwiener Groissböck, gebürtiger Niederösterreicher, macht das – soweit sich dies aus noch viel weiterer Herkunftsdistanz beurteilen lässt – ausgesprochen kultiviert, ohne an Schmäh zu verlieren.
In der vom vollen Saal heftig eingeforderten Zugabe schließt sich der Kreis mit Mozart und „Là ci darem la mano“, dem Duett aus „Don Giovanni“: Groissböck natürlich in der Rolle des sanguinisch fordernden Schwerenöters – während den Zerlina-Part die Hoch-G-Klarinette übernimmt, selbstverständlich in höchsten Tönen jubilierend.