Normen sind so etwas wie die heilige Kuh am Bau. Da gibt es die kreativen, auch mutigen Architekten, die gerne abspecken würden, auf der einen Seite. Die Bauordnungsämter auf der anderen Seite haben die Aufsicht vor allem für die öffentlichen Gebäude, müssen im Ernstfall mithaften. Doch Lydia Haack findet angesichts des kaum noch geleugneten Klimawandels klare Worte. „Wenn auf der Seite der Verwaltung nur noch Juristen Verhandlungspartner sind und keine Fachleute, dann bremst das auch die Innovationen im Bau aus“, sagt die Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer auf der Podiumsdiskussion des Treffpunktes Architektur Schwaben (TAS) im Maximilianmuseum. Denn dann werde bei Bauvorhaben statt auf Kreativität und Mut eben ausschließlich auf die Einhaltung von Vorschriften gesetzt. „Es hilft ja nicht, wenn man anschließend, weil es schiefgeht, ins Gefängnis muss“, hält Steffen Kercher, Baureferent der Stadt Augsburg, dem entgegen.
Tatsächlich ist beim Bauen ein riesiges Regelwerk zu beachten. 3000 Normen und Verordnungen machen die Baubranche zu einem Tanker, der nur langsam auf die Anforderungen an Nachhaltigkeit, Wärmemanagement, Hitzeplanung und Klimaschutz zu reagieren scheint. Neue Denkwege seien gefordert, so Haack. Das Normensystem sei ein sich selbst erhaltendes System. „Fragen wir uns doch mal, warum wohnen wir gerne in einem Altbau? Weil er flexibel nutzbar ist, das hat er hundert Jahre lang mit verschiedenen Mietern und Inhabern bewiesen.“ Große, flexibel teilbare Räume, die sowohl als Büro als auch als Wohnungen funktionieren. Aber wieso muss ein Erdgeschoss im Hochparterre, das vom Büro zur Wohnung umgebaut werden soll, die Lärmschutzvorgaben eines Neubaus erfüllen? Auch die Konjunktur der Solaranlagen habe zu kurzfristige, falsche Planung zur Folge gehabt. „In den letzten Jahren hieß es, bloß kein Baum vorm Haus, das verschattet die Gebäude. Heute weiß man, das war falsch“, erklärt Kercher.
Anette Haf: "Wir müssen anfangen, ganzheitlich zu denken"
Die Teilnehmer des Podiums - zu denen neben Moderator und TAS-Vorsitzendem Frank Lattke auch Augsburgs Theaterintendant André Bücker und Anette Hafner, Professorin für Ressourceneffizientes Bauen der Uni Bochum, gehörten - waren sich einig, dass es vor allem auf die Ausarbeitung der Vorprozesse ankommt. Je klarer die Ansprüche der Bauherren an ihre Objekte formuliert sind, desto besser für die architektonische, konkrete und klimabewusste Planung.
„Wenn wir 2040 klimaneutral sein wollen, müssen wir jetzt anfangen, ganzheitlich zu denken“, erklärt Anette Hafner, die als Beraterin für die Bundesregierung tätig ist. Dazu gehöre auch das Recycling von Baustoffen. 90 Prozent der mineralischen Rohstoffe landeten im Bau, 50 Prozent des Mülls entstehe im Baugewerbe, da müsse ein Kreislauf her, für den es bis jetzt jedoch keine Infrastruktur gebe.
„Früher war es günstiger, abzureißen und neu zu bauen. Heute müssen wir erhalten und erweitern“, stimmt Lydia Haack zu. Bauen werde teuer bleiben, sagt die Architektin. Berechne man die Kosten realistisch, sei Bestandserneuerung langfristig in vielen Fällen weniger schädlich für die Umwelt und schon deswegen günstiger. In der aktuellen Bauflaute sieht sie auch einen Freiraum, diesen Paradigmenwechsel im politischen, wirtschaftlichen und normenfixierten Denken zu verankern. Alen Jasarevic, Vorsitzender des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten Augsburg-Schwaben und neben dem TAS Mitveranstalter der Sommerwoche „Learning from Elias“, fasst in einem kurzen Gespräch mit unserer Redaktion zusammen: „Die Grundfrage ist, ob wir weiterhin so bedingungslos bauen können wie bisher.“