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Augsburg: Kritik an Sklavenjungen-Tour im Fugger und Welser Museum

Augsburg

Kritik an Sklavenjungen-Tour im Fugger und Welser Museum

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    Einen spielerischen Rundgang durch das Museum bietet eine App des Fugger und Welser Erlebnismuseums für Kinder- und Jugendliche. An deren Inhalten gibt es jetzt Kritik.
    Einen spielerischen Rundgang durch das Museum bietet eine App des Fugger und Welser Erlebnismuseums für Kinder- und Jugendliche. An deren Inhalten gibt es jetzt Kritik. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die Kritik an einem neuen spielerischen Rundgang durch das Fugger und Welser Erlebnismuseum mithilfe einer neuen App ist massiv und deutlich: Die Augsburger Kolonialgeschichte werde darin „stark verharmlosend“ dargestellt. Man gehe mit dem Thema leichtfertig um. Schlimmer noch, Kindern werde ein völlig falsches Bild der Sklaverei gezeigt. Das Museum erzähle in der Tradition des Kolonialrevisionismus, der die gewaltsame Eroberungsgeschichte der Kolonien zu einer europäischen Abenteuerfantasie verdrehe. ,,Es ist unwürdig, Massenmord und Menschenhandel mit Schwarzen Menschen zum Erlebnisspielplatz und Ratespiel für Kinder zu verharmlosen. Ein Genozid ist nicht lustig“, sagt der Münchner Raphael Dernbach von der Initiative Schwarze Menschen in München.

    Erst seit Januar ist die App im Fugger und Welser Museum in Betrieb

    Im Januar hat das Fugger und Welser Erlebnismuseum als eines der ersten Museen in Bayern eine neue App in Betrieb genommen, die extra für alle nichtstaatlichen bayerischen Museen entwickelt wurde. Eine technische Plattform, die die Museen mit eigenen Inhalten füllen können. Das Fugger und Welser Erlebnismuseum hat sich dazu entschieden, mit der App einen spielerischen Rundgang durch das Museum für Kinder und Jugendliche zu ermöglichen – aus der Sicht des 12-jährigen Sklavenjungen Perico, der im frühen 16. Jahrhundert von dem Handelshaus der Welser gekauft und später mit Gewinn verkauft worden ist.

    Und da setzt dann auch sofort die Kritik ein: „Das ist überhaupt nicht akzeptabel“, sagt der Münchner Raphael Dernbach, der gemeinsam mit der Ethnologin Ina Hagen-Jeske, dem Kulturgeschichtler Claas Henschel und dem Historiker Philipp Bernhard (alle Universität Augsburg) die App bereits vor Monaten getestet hat. Dernbach, dessen Großvater noch selbst als Nachfahre von Sklaven auf Jamaika in bitterer Armut lebte und mit elf Jahren seine Familie verließ, um allein auf einem Schiff anzuheuern, führt in einem Gespräch kurz aus, wie brutal und unmenschlich der Sklavenhandel im 16. Jahrhundert war: „Auf der Überfahrt sind ein Drittel der Menschen auf den Schiffen gestorben“, sagt Dernbach. In der App heißt es lediglich, dass Perico auf dem Schiff Hunger gehabt habe.

    Bernhard, Hagen-Jeske und Henschel haben in dem Augsburger Blog DAZ – Die Augsburger Zeitung einen Beitrag verfasst. Dort heißt es in Bezug auf diese App, „wie vermeintlich gut gemeinte und innovative Bildungsformate Rassismus reproduzieren können“. Dass die Kinder und Jugendlichen, die mit dieser App auf Tour durchs Museum gehen, dann auch noch die Gewinnspanne errechnen sollen, die die Welser mit dem Verkauf des Sklavenjungen Pericos erzielt haben, findet Dernbach im Gespräch „einfach unsäglich“.

    Ethnologen forderten eine Neukonzeption im Augsburger Museum

    Vor einem halben Jahr haben Bernhard, Hagen-Jeske und Henschel dem Museum mitgeteilt, wie problematisch sie die App finden. „Wir haben eine grundlegende Neukonzeption ohne Perico gefordert, und dass die App in der aktuellen Form offline genommen werden soll. Allerdings wollte das Museum nicht von der Figur des Perico abrücken“, sagt Hagen-Jeske. „Uns gegenüber wurde eine Überarbeitung der Tour angedeutet, jedoch ist seitdem nicht viel geschehen – außer kleine Änderungen im Ankündigungstext der Homepage.“ Laut Bernhard, Hagen-Jeske und Henschel seien die beiden Quellenbelege, auf die sich das Museum bei der historischen Figur des Perico bezieht, von zwei unterschiedlichen Personen.

    Das Problem unabhängig davon sei außerdem, dass die erfundene Figur Perico gänzlich ahistorisch sei. Sie denke und handele völlig anders, als es die Forschung nahelege: Er empfinde seine Überseefahrt als lustiges Abenteuer, er hege Sympathien für seinen „Herren“, er denke nicht an Widerstand und hoffe auf ein Happy End. Was völlig fehle, sei zum Beispiel auch ein Hinweis auf den demografischen Kollaps der indigenen Bevölkerung Amerikas, zu dem das Welser-Unternehmen durch Gewaltherrschaft und das Einschleppen von Krankheiten einen Beitrag geleistet habe.

    Die Leiterin des Fugger und Welser Erlebnismuseums, Wiebke Schreier, bestätigt, dass sie mit Bernhard, Hagen-Jeske und Henschel in Kontakt war. „Wir bemühen uns, offen und gesprächsbereit mit unseren Themen umzugehen“, sagt sie. Das Fugger und Welser Erlebnismuseum wolle kritisch mit der Geschichte der beiden Familien umgehen. „Uns hat man jetzt gesagt, dass wir der Altersgruppe, die wir mit der App ansprechen wollen, auch noch mehr zumuten kann“, sagt Schreier. Das Museum sei offen für eine Überarbeitung, um die Punkte, die kritisiert worden seien, nachzuschärfen. Seit längerem werde die App überarbeitet, die Geschichte solle darin nicht heruntergespielt werden. Im Augenblick setze man sich mit der öffentlich geäußerten Kritik von Bernhard, Hagen-Jeske und Henschel auseinander und berate, wie das in die Anpassung der App einfließen könne. „Und wenn sich herausstellt, dass wir die Figur Perico nicht halten können, ändern wir sie.“

    Sklavenjungen-Tour: Schüler sind nachdenklich geworden

    Oft im Einsatz sei die App noch nicht gewesen. Corona habe auch das Fugger und Welser Erlebnismuseum über Wochen lahmgelegt. Wenn sie für Schulklassen zum Einsatz komme, gebe es flankierend dazu immer auch Gespräche mit den Kindern und Jugendlichen. „Da hatten wir den Eindruck, dass die Schüler nachdenklich geworden sind“ – etwa mit welchen Gewinnspannen Sklaven früher verkauft worden seien. Falls das aber nicht eindeutig genug in der App formuliert sei, werde man da noch nacharbeiten. Das Museum sei nach wie vor offen für Dialog. „Wir wollen diese Themen diskutieren“, sagt Schreier.

    Hören Sie sich unseren Podcast mit Lisa McQueen zum Thema Rassismus an:

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