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"Dies bedauere ich sehr": Brechtfestivalleiter Julian Warner erklärt sich

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"Dies bedauere ich sehr": Brechtfestivalleiter Warner erklärt sich

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    Wenige Wochen vor dem diesjährigen Brechtfestival muss sich Julian Warner gegen Vorwürfe verteidigen, einen offenen Brief mit antisemitischen Passagen unterzeichnet zu haben.
    Wenige Wochen vor dem diesjährigen Brechtfestival muss sich Julian Warner gegen Vorwürfe verteidigen, einen offenen Brief mit antisemitischen Passagen unterzeichnet zu haben. Foto: Felix Müschen, dpa

    Nach Kritik an seiner Haltung zum Umgang mit Israel hat Augsburgs Brechtfestivalleiter Julian Warner am Montag einen Rückzieher gemacht. Er distanziere sich von einer Unterschrift, die er 2020 unter einen offenen Brief von Kulturschaffenden gesetzt hatte, in dem sich problematische Formulierungen finden, die unter anderem vom Bündnis gegen Antisemitismus Köln als antisemitisch eingestuft werden. Augsburgs Kulturreferent Jürgen Enninger, der Warner am Wochenende den Rücken gestärkt hatte, begrüßte Warners Schritt. 

    Wörtlich heißt es in der persönlichen Mitteilung von Warner: "Hiermit distanziere ich mich von meiner Unterschrift unter den offenen Brief 'Nothing Can Be Changed Until It Is Faced' aus dem Jahr 2020. (…) Ich lehnte damals und lehne heute den Israel-Boykott ab und bin zu keiner Zeit ein Unterstützer des BDS gewesen. Vor dem Hintergrund des Antisemitismus-Skandals bei der Documenta 15 (2022) sowie des verbrecherischen Angriffs der Hamas vom 7. Oktober 2023 distanziere ich mich ausdrücklich von meiner 2020 getätigten Unterschrift unter genannten Offenen Brief." Im Rückblick, so Warner, müsse er wie auch andere Unterzeichner vor ihm, "eingestehen, dass der Offene Brief wie auch die Initiative Weltoffenheit, die er unterstützte, eher zu einer Normalisierung von israelbezogenem Antisemitismus beigetragen haben. Dies bedauere ich sehr."

    Julian Warner hat zu 1500 Kulturschaffenden gehört, die einen offenen Brief unterzeichnet haben

    Was war geschehen? Die Boykott-Israel-Kampagne, auf Englisch "Boycott, Divestment and Sanctions", kurz BDS, wurde in den 2000er Jahren von Palästinensern ins Leben gerufen und bekam schnell internationale Unterstützung, auch in Deutschland. Immer wieder kam es zu Diskussionen, wie mit Unterstützern dieser Kampagne umgegangen werden solle. 2019 beschloss der Deutsche Bundestag mit großer, überparteilicher Mehrheit, Organisationen und Gruppierungen, die die BDS-Kampagne vorantreiben, die staatliche Unterstützung zu entziehen. Gleichzeitig verurteilte der Bundestag die Kampagne als antisemitisch. Dies wiederum zog Kritik aus dem Kulturbereich nach sich, die dadurch die Möglichkeiten zum Dialog beschnitten sah. 2020 unterschrieben 1500 Kulturschaffende einen offenen Brief mit dem Titel "Wir können nur ändern, was wir konfrontieren", dazu gehörte unter anderem der Kulturanthropologe Julian Warner, der von 2023 bis 2025 künstlerischer Leiter des Augsburger Brechtfestivals ist. 

    Problematisch an dem offenen Brief, der den Bundestag dazu auffordert, seinen Beschluss zurückzunehmen, sind einige Passagen. Der Brief kritisiert zum Beispiel, dass der Bundestag den Boykott als Mittel des Protests verurteilt. Im offenen Brief heißt es, wir "betrachten die Einschränkung des Rechts auf Boykott als Verletzung demokratischer Prinzipien". Später wird in Bezug auf Israel geschrieben: "Kein Staat sollte von Kritik ausgenommen sein." An dieser und anderen Passagen des offenen Briefs kritisierte daraufhin das Bündnis gegen Antisemitismus Köln: "Die Annahme, man könne Israel nicht kritisieren, ist sowohl in Bezug auf Deutschland sowie in Bezug auf den Rest der Welt ein Mythos. Stattdessen kommt es systematisch zur Delegitimation und Dämonisierung Israels sowie zur Anwendung doppelter Standards. Diese 3D-Kriterien dienen der Identifizierung von israelbezogenem Antisemitismus, wie er von der BDS-Bewegung vertreten wird."

    Kulturreferent Jürgen Enninger begrüßt den Schritt von Julian Warner

    Umstritten war auch folgende Passage des offenen Briefs: "Wir erkennen das Bekenntnis Deutschlands zu seiner historischen Verantwortung für den Holocaust an und schätzen es zutiefst. Gleichzeitig verurteilen wir die ungeheure Nachlässigkeit des deutschen Staates, wenn es darum geht, die deutsche Täterschaft für vergangene koloniale Gewalt anzuerkennen. Der Kampf gegen Antisemitismus kann nicht nach Belieben von parallelen Kämpfen gegen Islamophobie, Rassismus und Faschismus entkoppelt werden." Kritikerinnen und Kritiker des Briefs sahen in dieser Formulierung den Versuch, den Kampf gegen Rassismus und den Kampf gegen Antisemitismus gegeneinander auszuspielen.

    Kulturreferent Jürgen Enninger äußert sich am Montag auf Anfrage ebenfalls zu Warners aktueller Erklärung: "Es ist wichtig, dass Julian Warner sich von seiner Unterschrift und dem Offenen Brief distanziert hat." Es sei selbstverständlich und völlig klar, dass Antisemitismus keinen Platz haben dürfe. Gleichzeitig nimmt Enninger Brechtfestivalleiter Julian Warner in Schutz. "Es gibt wenig Menschen, die ihren Gesprächspartnern so viel Wertschätzung entgegenbringen." Warner wolle Diskursräume öffnen, Menschen miteinander ins Gespräch bringen, das sei sein großes Anliegen. "So habe ich ihn immer erlebt. Für mich ist die Integrität von Julian Warner keine Frage."

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