Vier, fünf Männer sind es, die derzeit die Welt, wie wir sie kennen, ins Wanken bringen, sagt Rafael Seligmann: Putin, Xi Jinping, Erdogan, Netanjahu und Trump. Ihnen hat der Politologe, Autor und Journalist in seinem neuen Buch „Brandstifter und ihre Mitläufer“ ein Denkmal gesetzt. Gemeinsam sind ihnen Geschlecht, Alter, Skrupellosigkeit und eine ausreichend große, wütende Basis. In der Stadtbücherei führte der Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, Peter Müller, mit ihm ein Gespräch über Zeitenwandel, den Zerstörungstrieb und die Anhängerschaft der Brandstifter. Eingeladen hatte die Buchhandlung am Obstmarkt, etwa 120 Interessierte fanden sich ein.
Was zeichnet sie aus, was sind die politischen Gemeinsamkeiten dieser Anführer und vor allem: Warum laufen ihnen so viele hinterher? Die eine schlüssige Erklärung für die Erfolge der „Führergestalten“ von Attila bis Saddam Hussein hätten weder die Geistes- noch die Naturwissenschaften bisher liefern können, erklärt Seligmann. Es seien bevorzugt gesellschaftliche Umbrüche und wirtschaftlich-soziale Krisen, in denen die Aggressivität destruktiver Persönlichkeiten zur Geltung komme. Sie legten Lunte an eine wachsende Gruppe von „Modernitätsverlierern“, die ihnen mit zunehmender emotionaler Abhängigkeit blind folgen – auch bis in den Tod.
Rafael Seligmann übt deutliche Kritik an Benjamin Netanjahu
Seligmann ist einer der bedeutendsten jüdisch-deutschen Publizisten der Nachkriegsgeneration. Selbst 1947 in Tel Aviv geboren, stammt seine Familie aus Schwaben. Der Vater, Ludwig Seligmann, war Mitglied der Gemeinde Ichenhausen, bevor er mit seiner Frau 1934 vor den Nationalsozialisten nach Israel floh. Ein Jahrzehnt nach Kriegsende zog es die Familie wieder nach Deutschland. Rafael Seligmann studierte in München und Tel Aviv Politik, promovierte über Israels Sicherheitspolitik und schreibt in den großen Blättern der deutschen Medienlandschaft.
In seinem neuen Buch widmet er sich mit je rund 20 Seiten den fünf „Brandstiftern der Gegenwart“, darunter auch dem israelischen Ministerpräsidenten. „Das schmerzt mich als Juden schon sehr, einen jüdischen Politiker in eine Reihe mit Trump und Putin stellen zu müssen“, antwortet er auf die Frage nach seiner deutlichen Kritik an Benjamin Netanjahu. Allein die Wurzeln in der jüdischen Gemeinde Ichenhausen, die 1943 ausgelöscht wurde, brächten eine gewisse grundlegende Solidarität für jüdische Politiker mit sich. „Aber Fehler muss man benennen. Netanjahu sollte zurücktreten.“ Ein Kriegstreiber sei er eigentlich nicht. Er habe auf den kürzlichen iranischen Raketenbeschuss besonnen reagiert, in seiner Amtszeit sogar die Militärausgaben zurückgefahren. Doch mit dem seit Monaten andauernden Vergeltungskrieg in Gaza habe er jetzt schon verloren, das Land total geschwächt und isoliert. „Hier gibt er sich als Anführer. Er machte Gaza zu, kein Strom, kein Wasser. De facto ist das ein Rachefeldzug.“
Ein Despot liebt den Reiz des ständigen Risikos
Mit Trump und den anderen verbindet Netanjahu eine destruktive Persönlichkeit, die Verachtung für den Rechtstaat, die Skrupellosigkeit und die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge auf die eine Lösung einzuschrumpfen. Das kann ein Krieg nach außen sein oder aber – wie bei Netanjahu und Trump – die Spaltung der eigenen Gesellschaft. „Trump will für einen Tag Diktator sein. Er darf es nicht mal eine Minute“, warnt Seligmann. Für einen wie Trump, ein Showmaster in eigener Sache, liegen die Zeiten günstig: Die Eisen- und Stahlindustrie kollabiert. Gleichzeitig entsteht eine dynamische Hightech-Industrie, und an der absteigenden, prekären Arbeiterschaft ziehen Hunderttausende gut Ausgebildete in den Hightech-Konzernen vorbei. „Trump hat das Talent, sich an Menschen voller Angst und Aggression zu wenden, an die einfachen Leute. Sie verleihen ihm ihre Stimme und er wird zu ihrer Trompete.“
Ein Despot liebe den Reiz des ständigen Risikos, erkenne schlau die Mobilisierungsfähigkeit wütender, hassender und ängstlicher Menschenmassen, fasst Seligmann zusammen. Erst ihre blinde Zustimmung, so Seligmann, halte die Geschäftsgrundlage aller Autokraten am Laufen. Auf die Frage, was tun, wenn Trump kommt, warnt er: „Ob er kommt oder nicht: Deutschland muss aufwachen.“ Putin drohe deutlich mit Kernwaffen, Beschwichtigungspolitik sei keine Option und Scholz auf dem Holzweg. „Was ist das für eine Flugabwehr, mit der die Ukraine noch nicht mal die Raketenbasen des Gegners erreichen kann? Das geht so nicht.“ Freiheit und Wohlstand hätten ihren Preis. Auch in Deutschland müssten sie im Ernstfall mit dem Leben von Männern und Frauen verteidigt werden. Nach innen empfiehlt er, das Instrumentarium des Rechtstaats gegen rassistische Parteien einzusetzen. „Demokratie ist resilient. Sie kann eine Gewaltherrschaft verhindern. Selbst Trump scheiterte in seiner Amtszeit als Präsident an den Gerichten.“ In Deutschland befürwortete er ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD und warnte zugleich vor Brandstiftern und Mitläufern des sichtbarer werdenden Islamismus.