Seltsam weit weg erscheint die Zeit, als es plötzlich ganz still wurde. Die Straßen verwaist, die Bars dunkel, die Stimmung gedämpft. Die Menschen saßen zu Hause, strichen Wände, backten Brot und schlossen Netflix-Abos ab. Tom Jahn saß am Klavier. Nachts, wenn das Haus schlief.
Ganz zart und leise schlagen die Hämmer gegen die filzgedämpften Saiten, Pianominiaturen erinnern an lange Monate, an denen man sehr viel beziehungsweise zu viel Zeit hatte, sich Gedanken zu machen. Die Platte nachdenklich zu nennen hätte jedoch einen zu negativen Beiklang für die elf Kleinode auf „soothing song for a fearless feather“ (Haldern Pop). „Soo-thing“ bezeichnet im Englischen etwas Schmerzlinderndes, etwas Besänftigendes und es scheint, als wäre der Begriff nur für den Titel dieses Albums entstanden.
Die sanften Töne und Gedankengänge des Tom Jahn
Die Stücke sind der Soundtrack dazu, wenn sich Gedanken verselbstständigen und auf Wanderschaft gehen, vom Tal der Zweifel über das Gasthaus „Zum nostalgischen Glücksmoment“ bis hinein ins Museum der kuriosen Dinge des Alltags. Doch in welche Richtung sich die Gedanken auch winden, Jahns Kompositionen verscheuchen düstere Gedanken und lassen ein aufgeregt pochendes Herz wieder ruhig schlagen.
Auf der ersten, „piano“ betitelten LP zerfallen dunkle, warme Akkorde in ihre Einzelteile, darauf tropfen silbrig schimmernde Melodiefragmente: Mal trifft ein kleiner Lauf in den hohen Lagen auf einen Jazz-Akkord, mal nur zwei behutsame Töne auf einen gedämpften Basston und erzeugen eine flüchtige Harmonie, die alle Härchen auf den Unterarmen nach oben zeigen lassen. Die Stücke erzählen von Einsamkeit und Niedergeschlagenheit, aber eben auch von Furchtlosigkeit und Menschen, die genau dann auftauchen, wenn man sie am meisten braucht.
Der Pianist Tom Jahn legt ein intimes Solodebüt vor
Jahns Solodebüt ist ein sehr persönliches, fast intimes Album geworden. Man hört das Quietschen des Klavierhockers, die Mechanik des offenen Klaviers und die Innigkeit, die Jahn in Töne gegossen hat.
Aber so ganz alleine ist auch nichts für den Pianisten und Komponisten, der als musikalischer Direktor mit der malischen Afro-Funk-Künstlerin Fatoumata Diawara in ganz Europa unterwegs ist, aus Vorstadt-Bigbands treibende Technoacts formt und Jazz mit Hip-Hop oder Elektro vereint – gerne auch mit Musikerinnen und Musikern der Folgegeneration. So tauchen zehn Künstlerinnen und Künstler Jahns Stücke auf der zweiten, „reworks“ betitelten LP in die unterschiedlichsten Farben.
Tom Jahn wandert zwischen musikalischen Welten
Ruhige, sphärische Streichersamples machen aus einem Solopianostück einen Score für skandinavische Arthousefilme. Der Passauer Stefan Meisl verwandelt das Titelstück in einen House-Track, der Anfang des Jahrtausends in jedem Ostlondoner Club gelaufen wäre und die Einheit des Klaviers mit langsamen, verzerrte Beats könnte auch der Versuch der britischen Experimentalelektroniker Autechre sein, einen Lovesong zu schreiben. „Soothing“ mit der schönen Stimme von Julia Fehenberger wäre auf einem Portishead-Album kein Fremdkörper und die warmen Downtempo-Beats von Nick Mosh macht „love for a leaving life saver“ zu einer konsequenten Singleauskopplung.
Tom Jahn wandert, wie die Gedanken zu seinem Klavierspiel, zwischen den musikalischen Welten. Ob Kammermusik, Jazz oder Electronica – Jahn bedient sich vieler Elemente zu einem einzigen Zweck: Musik aus sich herausfließen zu lassen, die zu wertvoll ist, um sie für sich zu behalten. Da überrascht es nicht, dass das renommierte Indielabel Haldern Pop Tom Jahn zwischen Friska Viljor und The Soundtrack of our Lives gerne in seinem Katalog sehen wollte.
Plattenreleasekonzert am Samstag, 17. Dezember, um 20 Uhr im Kulturhaus Kresslesmühle. Tickets unter www.kresslesmuehle.de.
Von Bildender Kunst über Musik bis Literatur: In unserer Serie „Werk der Woche“ stellen wir wöchentlich in loser Folge ein Kunstwerk mit regionalem Bezug vor, das die Begegnung lohnt.