Sie können ihr Glück immer noch kaum fassen. Über Nacht spielen die beiden aus Augsburg stammenden Filmproduzenten Bastian Klügel und Claus Reichel auf der internationalen Bühne, denn ihr Compagnon Mehmet Akif Büyükatalay hat für seinen Spielfilm „Oray“ auf der Berlinale den Preis für den besten Erstlingsfilm gewonnen. Das Preisgeld von 50000 Euro teilen sich der Regisseur und die Produzenten. „Es war wie im Tunnel: Alle möglichen Leute schütteln dir die Hände, Blumensträuße werden gereicht, gleich geht es zur Pressekonferenz und anschließend zum festlichen Dinner“, erzählt Bastian Klügel. Dort erhielten sie „tolle“ Rückmeldungen von internationalen Filmgrößen wie der Juryvorsitzenden Juliette Binoche. „Die Filmfestspiele Berlin sind mit Cannes und Venedig ein A-Festival und genießen größte Aufmerksamkeit in der Branche“, so Klügel.
Seine Erleichterung fällt umso größer aus, als die Produzenten für den Film ein „extrem hohes Risiko“ eingegangen sind. Viel Geld haben sie aufgenommen, um seine Herstellung zu finanzieren. Und weil die Fördermittel verzögert ausgezahlt werden, bedurfte es auch der Zwischenfinanzierung ihrer Eltern, die buchstäblich zur „Hausbank“ wurden. Dabei fiel ihr Budget eh schmal aus. „Normalerweise fangen Langfilme bei 750000 Euro an, wir lagen deutlich darunter“, weiß Klügel.
Ein Blick auf muslimische Milieus
Worum geht es in „Oray“? Der junge Muslim Oray spricht im Streit mit seiner Ehefrau Burcu die islamische Scheidungsformel „talaq“ aus. Das hat Konsequenzen: Der Imam sagt, Oray muss sich für drei Monate von Burcu trennen. Also zieht er von Hagen nach Köln. Hier findet er einen Job und eine Gemeinde, die vom Imam Bilal geleitet wird. Bald fängt Oray zu predigen an, was bei Bilal Neid auslöst. Als Burcu Oray überraschend besucht, merken sie, dass die Pause ihnen gutgetan hat. Sie lieben sich nach wie vor. Doch Bilal vertritt die Auslegung, dass „talaq“ nicht Pause, sondern endgültige Scheidung bedeutet. Oray ist hin- und hergerissen zwischen seinem Glauben an die Liebe und seiner Liebe zum Glauben.
Ziel des Films sei es, mit ungetrübtem Blick eine Innensicht auf muslimische Milieus zu vermitteln. „Komödien überziehen, sie stellen kein realistisches Bild dar. Unser Film überlässt es den Zuschauern, sich ihre Meinung zu bilden. Man muss diesen Film nicht mögen, aber man muss sich mit ihm auseinandersetzen“, erklärt Klügel. Der Produzent hofft, dass „Oray“ an Schulen, in Moscheevereinen und Justizvollzugsanstalten gezeigt wird. Bastian Klügel war in die Entstehung so einbezogen, dass er sogar privat Türkisch lernte. „Wir waren viel in Moscheen unterwegs, unsere Sprachkenntnisse waren ein Türöffner,“ berichtet er. Wichtig wurde in Zeiten, da Präsident Erdogan die Ansichten über die Türkei polarisierte, vor allem ein Satz: Lasst uns nicht über Politik sprechen! (Politika hakkinda konusmayalim!) „Er hat uns sehr geholfen, um zu große Emotionalität zu verhindern.“
Ein starkes Porträt
Reichel und Klügel, beide Jahrgang 1986, kennen sich seit der Schulzeit am Rudolf-Diesel-Gymnasium und haben sich schon im Schultheater bei ihrer Inszenierung von „Arsen und Spitzenhäubchen“ bewährt. Dessen ehemaligem Leiter Erhard Kestel fühlen sie sich sehr verbunden. 2006 haben sie Abitur gemacht. Bastian studierte an der Kunsthochschule für Medien Köln, wo er Mehmet Akif Büyükatalay kennenlernte. Claus widmete sich an der Universität Köln Lateinamerika-Studien. Seit 2015 sind sie in der Filmbranche tätig, 2016 gründeten sie ihre Firma „Filmfaust“. „Oray“ ist ihr erster Langfilm zusammen mit der ZDF-Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“. Das Buch sei schnell angenommen worden – wohl weil es der erste Film aus der Perspektive von Deutschtürken war. Die Mitglieder der Jury – u.a. Katja Eichinger – haben „Oray“ aus 16 nominierten Spielfilmdebüts der diesjährigen Berlinale mit folgender Begründung ausgewählt: „Wir haben den Film gewählt, da er ein sehr starkes Porträt eines jungen Mannes ist, der mit widersprüchlichen Kräften in sich kämpft. Das verspricht eine starke neue Stimme im europäischen Kino zu werden.“
Solches Lob spornt das Trio zu weiteren Projekten an. Ein Film ist bereits abgedreht: Drei Episoden aus der Türkei, die Machtlosigkeit erleben lassen. Ein Kurzfilm, der im Libanon spielt, wird ein historisches Antikriegsdrama werden. Übrigens: Für Bastian Klügel ist es schon der zweite Preis, den er 2019 erhielt: Die Robert-Bosch-Stiftung zeichnete den Kurzfilm „Homeless Heart“ mit 60000 Euro aus.
„Oray“ soll am 30. Mai in deutschen Kinos anlaufen. Im Fernsehen wird das ZDF den Film ausstrahlen.