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Geschichte: Was der jüdische Friedhof zu erzählen hat

Geschichte

Was der jüdische Friedhof zu erzählen hat

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    Yehuda Shenef lebt seit 1995 in Augsburg und hat sich seitdem intensiv mit der jüdischen Geschichte in Augsburg beschäftigt. Jüngst hat er ein Buch über den jüdischen Friedhof im Hochfeld geschrieben, wo dieses Bild entstand.
    Yehuda Shenef lebt seit 1995 in Augsburg und hat sich seitdem intensiv mit der jüdischen Geschichte in Augsburg beschäftigt. Jüngst hat er ein Buch über den jüdischen Friedhof im Hochfeld geschrieben, wo dieses Bild entstand. Foto: Michael Hochgemuth

    Grabsteine geben eine Ahnung von der eigenen Endlichkeit und legen spannende Fährten in die Vergangenheit. Auf den drei jüdischen Friedhöfen in Augsburg verdichten sich die persönlichen Erinnerungen unzähliger Familien zu insgesamt 550 Jahren Stadtgeschichte. Sie zeigen das Auf und Ab, Erfolg und Verfolgung der jüdischen Minderheit über die Jahrhunderte.

    Mit 150 Jahren ist die Ruhestätte im Hochfeld die jüngste und derzeit die einzige, die von der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) betrieben wird. Der mittelalterliche Friedhof am Eisstadion hat keine Spuren hinterlassen, der in Kriegshaber ist voll und kann nicht weiter belegt werden.

    Hunderte Fotos zeigen den Hochfelder Friedhof

    Der Historiker Yehuda Shenef, der 1995 von Israel nach Augsburg zog, erforschte die Gräber, Denkmäler, Grabsteinmode und Steinmetze über 20 Jahre. Jetzt hat er bei Books on demand einen Band über den Hochfelder Friedhof veröffentlicht. Hunderte Fotos zeigen die jüdischen Familien, von Nationalsozialisten abgeräumte Kindergräber, Grabinschriften und die von den Bomben der Alliierten zerstörte Leichenhalle im Zentrum des Friedhofs.

    Ein 50-seitiges Register der etwa 1800 Gräber, ein alphabetisches Verzeichnis der Bestatteten sowie ihrer in den Konzentrationslagern ermordeten Verwandten und 53 Porträts jüdischer Augsburger ermöglichen eine gezielte Personensuche, laden aber auch ein zu einer Lesereise in die jüngere Augsburger Stadtgeschichte.

    Eine Oase im städtischen Trubel

    Das Grundstück selbst hatte Carl von Obermayer, der damalige Vorsitzende der IKG, Mitte des vorletzten Jahrhunderts erworben. 1867 lag der Bereich außerhalb der Stadtmauern, ringsum nichts als Landschaft. Heute ist der nur 40 Meter breite, aber 117 Meter lange Grund eine Oase im städtischen Trubel – im Westen und Osten eingezwängt zwischen den Verkehrsachsen Haunstetter Straße und Altem Postweg, im Norden und Süden zwischen Berufsschule und Kleingartenanlage.

    Carl von Obermayer (1811-1889) war in Augsburg kein Unbekannter. Die Generation seines Vaters gründete Bayerns erste Bank mit, finanzierte die Anfänge mehrerer Textilfabriken in der Lechstadt sowie die Eisenbahnstrecke nach München. Carl selbst war Kommandant der Augsburger Landwehr, studierte Militärstrategien kreuz und quer in Europa und den USA, ging beim Berliner Kaiser- und im bayerischen Königshaus ein und aus.

    Eine bayernweit einmalige Synagogenorgel

    Als die USA ihn zum Konsul für Bayern ernannten, richtete Obermayer in seinem heute als Standesamt bekannten Obermayer-Palais in der Maximilianstraße seinen Amtssitz ein. Kurz darauf verkaufte er das Haus an den ihm nachfolgenden IKG-Vorsitzenden. 1938 wurde es „arisiert“.

    Carl von Obermayer selbst ließ sich allerdings nicht auf „seinem“ neuen Friedhof, sondern auf dem ebenfalls noch offenen Kriegshaber Friedhof bestatten. Die Reformgemeinde in Augsburg war ihm – so schreibt Shenef – mit ihrer bayernweit einmaligen Synagogenorgel, ihrem Chor und der deutschen Predigt zu modern.

    1800 Eintragungen auf dem Hochfelder Friedhof

    Insgesamt 13 Obermayers jedoch liegen laut Shenefs umfangreichen Grabregister mit 1800 Eintragungen auf dem Hochfelder Friedhof. Max Obermayer, Carls Cousin, Grabnummer 168, starb 1886. Im Adressbuch der Stadt wird er als „Commerzien-Rath, Bankier, Consul“ geführt, er wohnte in der Maximilianstraße, besaß jedoch auch ein Haus in der Schaezlerstraße.

    Er war ebenfalls amerikanischer Konsul und arbeitete in Argentinien, Japan und Belgien. Das Augsburger Naturkundemuseum verdankt ihm eine Reihe von Mitbringseln aus diesen exotischen Regionen der Welt.

    Mietek Pemper rettete 1000 Juden vor den Gaskammern

    Überhaupt versammelt der Friedhof, auf dem sich zu Beginn auch Münchener beisetzen ließen, eine Reihe von VIPs: Die Eltern von Fritz Landauer, dem berühmten Synagogen-Architekten. Landauer selbst floh vor den Nationalsozialisten nach England, wo er 1968 starb. Für den Hochfelder Friedhof entwarf er noch mehrere Denkmäler, darunter den Grabstein seiner Eltern.

    Nicht mit ihm verwandt, aber gleichen Namens: Samuel Landauer (1846-1937), Grabnummer 1152. Er war Professor, Linguist und Orientalist. Laut städtischem Adressbuch lebte er in der Völkstraße 34, 1. Stock. Mietek Pemper (1920-2011) der zusammen mit Oskar Schindler 1000 Juden vor den Gaskammern rettete, liegt hier ebenso wie die bekannte Pferdehändlerdynastie der Neuburgers aus Fischach. Von Salomon Neuburger (1818-1887) ist auf dem Dachspitz seines Hauses am Perlachberg, Ecke Maximilianstraße, zudem eine gusseiserne Pferdefigur erhalten.

    Grundlagenforschung über den Friedhof

    Diese Spuren und Zeugnisse jüdischen Alltags in Augsburg sichtbar zu machen, das ist das Verdienst von Shenefs Buch. Der Band ist wegen seiner systematischen Grab- und Sterberegister nicht nur ein Nachschlagewerk für die in alle Welt verstreuten Nachfahren der ermordeten oder verjagten Augsburger Juden. Er zeigt auch das neue jüdische Leben: Im hinteren Drittel des beinah voll belegten Friedhofs ruht bereits die erste Generation der seit 1991 aus der Ex-Sowjetunion eingewanderten jüdischen Kontingentflüchtlinge.

    Zwar existierten online und in anderen Publikationen bereits Informationen zu den drei Augsburger Friedhöfen. Auch Grabregister gab es bereits. Yehuda Shenef, der auch Vorsitzender des Jüdischen Historischen Vereins Augsburg ist, hat nach seinen insgesamt 13 Publikationen zum schwäbischen Judentum sowie zum mittelalterlichen Friedhof am Eisstadion (2013) und zum Kriegshaber Friedhof (2013) jetzt erstmals auch die Grundlagenforschungen über diese Ruhestätte kompakt zwischen schöne Buchdeckel gepackt.

    Yehuda Shenef: Die Liebe ist der Dichtung Stern. Der jüdische Friedhof von Augsburg-Hochfeld. Geschichte, Inschriften, Grabregister, Biographien, Fotos, 200 Seiten, Books on demand, 35 Euro.

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