Eine ganze Wand voll mit insgesamt 174 Blättern. So sieht das Corona-Tagebuch der Landsberger Malerin Katharina Schellenberger aus. Von links oben nach rechts unten können sie chronologisch gelesen werden. In märchenhaft verschlüsselter Form spiegeln sie die Empfindungen, die neuen Erfahrungen im Lockdown mit Isolierung, Homeschooling und Familienarbeit, mit Befürchtungen und Hoffnungen. Mal lugt Witz und Ironie aus den Zeichnungen mit puren Pigmenten, die bis auf eine luzide Schicht auf dem Papier wieder abgetupft werden, mal machen sich Monster und Untiere breit.
"Auch die Kunst ist vergänglich, sie verklingt wie Musik"
„Idee 2020“ heißt die aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle des Berufsverbands Bildender Künstler (BBK) im Abraxas. Wozu inspiriert eine besondere Zeit? Was lässt sich aus ihren Impulsen machen? Schon länger hatte Josef Zankl die Idee, im Mai wurde sie unter BBK-Mitgliedern ausgeschrieben. Sieben wurden ausgewählt. Es sind frische Arbeiten. Etwa das „Hirngespinst“ von Turid Schuszter, ein zierliches Gebilde aus geleimter Wolle, dazu ein neuronales Netz mit Synapsen – der Form gewordene Vorgang des Denkens. Die Installation ist einmalig, sie wird sich verändern, wenn sie woanders neu aufgebaut wird. Schuszter: „Auch die Kunst ist vergänglich, sie verklingt wie Musik.“
Absichtslos ist sie allemal. Wie das „Malwerk“ von Hannes Goullon – drei unabhängig voneinander entstandene informelle Bilder, die als Triptychon dann doch eine geschlossene Einheit bilden. Erzählerisch legt er beim 13.11.1683 los, ein abstraktes Datum ohne historische Bedeutung, doch ein ereignisreicher Tag. Das Aufgeregte bringt er nebenan mit zwei schwarzen Punkten in einer grünen Fläche zur Ruhe und noch stärker mit der orange-roten Ovalfläche vor Cremeweiß. Damit verwandt führt Alexandra Vassilikian mit schattenhaft-silbriger Fotochemie in ein geheimnisvolles, düsteres Reich gleich einer Höhle oder einem Tempel im Wald. „Aus den Tiefen“ schöpft sie ihre Ideen, wühlt Teile von Tierskeletten aus und lässt am Ende einer aus Laub gestreuten herbstlichen Allee auf ein aufgebrochenes Wild blicken.
Aus dem Schutt der Resse-Kantine lässt sich allerhand Neues machen
Nina Zeilhofer spürt indes Fundstücken vom Abbruch der Reese-Kantine nach. Das Schuttmaterial wird unter den Händen der Architektin zu neuen Skulpturen, die eine ganze Stellwand füllen. Die Artefakte zeigen dabei ihre frühere Energie und faszinieren mit sehr verschiedenen haptischen Qualitäten. Darüber projiziert Zeilhofer ein Video vom gefräßigen Abrissbagger. Zwischen die Meißelschläge krächzen die Krähen und rauscht der Wind. Alles ist vergänglich, alles verwandelt sich.
Eine neue Artemis kreiert Liliana Mesmer. Ihre Göttin geht auf Datenjagd, Glühbirnen, Kabelstränge und Drähte finden sich in der Skulptur anstelle üppigen Brustschmucks und langem gefältelten Kleid des antiken Vorbilds. Conny Kagerer fügt das Verschiedene ineinander, sie malt und druckt, sie collagiert und vernäht. Bedruckte Gaze lässt das Bild darunter schimmern, mitunter liegt eine aus Draht gebogene Figur darüber. Das alles wird mit Nadel und Faden fixiert und strukturiert. „Im Leben so unterschiedlich“ lautet der Oberbegriff ihrer Arbeit.
Ebenfalls ein Corona-Tagebuch legt Jo Thoma als bleistiftgezeichnete Comics an, versehen mit witzigen englischen Titeln. Die „Küchenpsychologie“ bringt Identität und Ego in ihre Kochtöpfe, „Keep Close“ gibt die Krabbe als Ratschlag und das Haus, Inbegriff des Unverrückbaren, bekommt bei ihr Füße („made for Walking“).
Laufzeit bis 18. Oktober, geöffnet Di., Do., Sa., und So., von 14 bis 18 Uhr. Katharina Schellenberger lässt die Besucher die persönlichen Favoriten aus ihren 174 Bildern wählen.
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