Wann waren Sie überhaupt das letzte Mal da? Oder, wenn Sie Student oder Studentin sind und deshalb oft dort sind, wann haben Sie das letzte Mal geguckt? Die Rede ist vom Universitätscampus und von den vielen Kunstwerken, die dort zu sehen sind – wenn man hingeht und wenn man guckt.
Jetzt, da die Museen geschlossen sind, bekommt der Kunstpark an der Universität vielleicht neue Aufmerksamkeit, denn das ist ein überaus zeitgemäßes Angebot: sich an der frischen Luft zu bewegen und dabei den Hunger nach Kunst zu stillen. Was für solcherart interessierte Spaziergänger hilfreich sein kann, das ist das Büchlein „Kunst am Campus“, das jetzt zum 50-jährigen Bestehen der Universität neu aufgelegt, dazu überarbeitet und erweitert wurde und insgesamt 30 Werke vorstellt.
Vor 15 Jahren haben die Kunstpädagogin Constanze Kirchner und der Politologe Hans-Otto Mühleisen den ersten Guide verfasst. Damals waren von den insgesamt über 100 Campus-Kunstwerken vor allem Arbeiten der frühen Zeit ausführlich dargestellt, etwa der wuchtige Granitblock von Nikolaus Gerhart oder die erzählende „Archiva“-Göttin von Jürgen Goertz nahe dem Staatsarchiv. Es endete bei Erika Berkhemers verspieltem Alubrunnen zwischen Wirtschafts- und Jura-Fakultät und bei Jonathan Borowskys witzigem „Flying Man“, der seit dem Jahr 2000 im Foyer der Juristischen Fakultät die Jurastudenten vor dem Absturz in den Paragrafendschungel warnt.
An der Uni Augsburg gibt es Campus-Kunst nach der Zahlenfolge von Fibonacci
Jetzt sind auch jüngere Arbeiten enthalten, die bis 2010 aufgestellt wurden. Zum Beispiel die zwölf Meter hohen farbigen Mikadostäbe von Edgar Knoop beim Institut für Physik, ein weithin sichtbares Zeichen, das auf den ersten Blick auf die Geschicklichkeit beim Lernen und Experimentieren anzuspielen scheint, vom Künstler aber tatsächlich nach der berühmten Zahlenfolge des mittelalterlichen Mathematikers Leonardo Fibonacci angeordnet wurde.
Erklärt wird das in einem knappen Text, mit dem alle Kunstwerke in dem Buch versehen sind, verfasst von Studierenden und Lehrenden der Kunstpädagogik, und ergänzt von einer kurzen Vita des Künstlers sowie, natürlich, von Abbildungen der Werke. Wenn die Texte ein oder zwei typografische Punkte größer gedruckt worden wären, könnte man sie unangestrengter lesen – denn sie sind es wert, gelesen zu werden.
Man erfährt da etwa, dass das 30 Meter lange hängende Stahlband (von Hermann Kleinknecht ebenfalls nahe der Physik platziert), das so voller Spannung und so leicht wirkt, in Wahrheit tonnenschwer ist. Die Physik zog auch den aus Hiroshima stammenden Bildhauer Hiromi Akiyama (1937–2012) an. Sein Stelenpaar aus Granit und Stahl markiert mit je einer dazugehörenden Bodenplatte als Spiegelbild die Koordinaten des Raums. Nicht weit davon, beim Anwenderzentrum für Material- und Umweltforschung, winden sich blaue Keramikfließen durch die Wiese, sind freilich schon sehr zugewachsen. Das grafische Linienmuster außen findet sein Pendant im Inneren durch insgesamt elf runde Keramikplatten, auf denen wiederum feine Linien kreisförmig wuchern. Innen und außen, beides gehört zum Projekt „Fayencen“ des Münsteraner Bildhauers Stephan Baumkötter.
Von einer Skulptur an der Uni Augsburg sind nur vereinzelte Steine geblieben
Überhaupt sind oft schöne Korrespondenzen zwischen dem Innen- und Außenbereich, zwischen signalhaft wuchtigem Großformat (der rote „Trojaner“ von Georg Zey beim Institut für Informatik) und subtiler Zartheit entstanden – etwa die Rauminstallation „Wandel“ mit ihren flirrenden Stahlnadeln von Yoshiyuki Miura in der Halle des Hörsaalzentrums Physik oder der poetische „Novalis-Hain“, eine Landschaftsskulptur des LandArt-Künstlers Nils-Udo, die leider dem neuen Kunstzentrum weichen musste. Von ihr sieht man nur noch vereinzelte Steinblöcke.
Immer noch da, wenn auch zum Teil erst durch genaues Hinschauen zu entdecken, sind einige der „alten“, also schon seit den 1970er Jahren aufgestellten Campus-Kunstwerke, und sie haben über die Jahre nichts von ihrer Aussage und ihrem Wert verloren. Christa von Schnitzlers zarte Mädchen-Stele am Uni-Teich etwa, Michael Croissants überschmaler „Kopf“ vor der Zentralbibliothek, Wolfgang Biers immer wieder berührende Großform eines verletzten Kopfes auf dem Hügel am Nordende des Campus.
Oder Hans-Jürgen Breustes „Rasterversion Drogheda“. Diese Arbeit von 1982 wurde wegen des Baus der Straßenbahn von dem Platz vor der Mensa in den Westbereich des Hörsaalzentrums Physik umgesetzt und ist das vermutlich einzige Werk, das sich auf die Vergangenheit des Universitätsgeländes als Messerschmitt-Rüstungsschmiede bezieht. Breuste erinnert mit seinem massigen Stahlgerüst, das wie umgekippte Eisenbahnschienen wirkt, an das zerstörte Städtchen Drogheda, seine Arbeit kann als Mahnmal gegen den Krieg gesehen werden.
Der Augsburger Uni-Campus wartet auch mit interessanter Architektur auf
Das schreibt der Architekturhistoriker Gregor Nagler in seiner Werkbeschreibung und auch in einem längeren Text über Architektur und Kunst am Bau auf dem Campus. Constanze Kirchner schreibt über Wirkung von Kunst im öffentlichen Raum, und Hans-Otto Mühleisen erläutert die segensreiche Auswirkung der Bundestagsentscheidung schon von 1950 (!), ein Prozent der Baukosten für Kunstwerke auszugeben. Man erfährt in den Essays Interessantes über die Baugeschichte der Uni, über die Korrespondenz von Architektur und Kunst, über die Veränderung des Raums durch Kunst und über die kunstpolitischen Entscheidungen bei der Auswahl. Mühleisen weist zum Beispiel darauf hin, dass mehr als die Hälfte der auf dem Augsburger Campus vertretenen Künstler aus der Münchner Akademie kamen.
So ist der Guide auch ein Lesebuch, aber vor allem ist er ein Wegweiser zu den Kunstwerken, durch fünf verständlich konzipierte Rundgänge, durch Gebäude- und Werkindex und durch eine Karte. Also eine nützliche Hilfe für den Herbstspaziergang zur Campus-Kunst.
Kunstführer Kirchner/Mühleisen: Universität Augsburg – Kunst am Campus. Kunstverlag Josef Fink, 120 S., 88 Abb., 5 €.
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