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Theater Augsburg: "Im Dickicht der Städte": Am Ende unerlöst

Theater Augsburg

"Im Dickicht der Städte": Am Ende unerlöst

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    Im Dickicht der Städte wurde am Theater Augsburg inszeniert.
    Im Dickicht der Städte wurde am Theater Augsburg inszeniert. Foto: Nik Schölzel/Theater Augsburg

    Warum? Warum zerstört einer seine Existenz ohne Not? Warum bekämpfen sich zwei Männer bis auf den Tod, rücksichtslos gegen sich und andere, gefangen in der Eigendynamik dieser Auseinandersetzung? Stets suchen wir nach Erklärungen für das Verhalten der Menschen – ein psychologischer Reflex. Es muss doch ein Motiv geben! Einen Anlass, eine Vorgeschichte, ein Ziel: Neid, Habgier, Eifersucht, Gekränktsein, Wut – irgendetwas Plausibles, dem wir folgen können.

    Nein, sagt Bertolt Brecht mit seinem frühen Stück „Im Dickicht der Städte“. Kein Motiv. Nehmt es einfach, wie es ist, sucht nicht nach Erklärungen. Nehmt den „unerklärlichen“ Kampf vorbehaltlos an und schaut zu, wie ihn der Holzhändler Shlink und der junge George Garga im Dschungel der Riesenstadt Chicago führen. Schauen wir also, wie die Gastregisseurin Ofira Henig aus Israel die sperrige, eher selten gespielte dramatische Versuchsanordnung als Beitrag des Brecht-Festivals auf die Augsburger Brechtbühne bringt – 90 Jahre nach der Uraufführung in München 1923.

    Henig hätte das Stück als eine Parabel auf den schier unlösbaren Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern anlegen können. Das hat sie nicht getan, nicht einmal in Andeutung. Auch das Großstadtmotiv Brechts, der die Metropole als Arena gesehen hat, als Dschungel, in dem der moderne Mensch, auf sich gestellt, taumelnd um die Existenz kämpft, blendet die Regisseurin aus. Ihre Inszenierung ist sorgfältig und ansprechend, sucht aber nicht die Verstörung, findet auch keinen Weg „gegen“ Brecht oder gar über ihn hinaus.

    Garga wird gedemütigt und entlassen

    Die Bühne (Miriam Guretzki-Bilu) ist ein Innenraum, unbestimmt, mit einer langen Holztafel (die an das letzte Abendmahl denken lässt), welche im Wechsel der Szenen Leihbücherei, Wohnung, Holzhandel und Hochzeitstafel ist. Abgezirkelt ist das Kampfquadrat mit einer neonleuchtenden Begrenzungslinie.

    Eröffnung der Partie: Der Holzhändler Shlink (Toomas Täht) betritt die Leihbücherei mit drei marionettenhaft agierenden Vasallen, er provoziert den Angestellten George Garga (Tjark Bernau) mit einem Übergriff, will ihm seine Ansicht über ein Buch abkaufen. Garga aber bleibt unbeugsam. Tumult, Zerstörung in der Bücherei, Garga wird gedemütigt und entlassen. Seine „Freiheit“ hat er verteidigt, aber er ist aus der Bahn geworfen, seine Geliebte Jane hat er obendrein verloren an Shlinks Leute. Freiheit? George steckt sich eine Pistole in den Hosenbund. Ab jetzt ist George Garga im Sog des Kampfes.

    Ruck, zuck ruiniert ist die Holzhandlung Shlinks, gefeuert die Angestellten, kaputt die Familie Garga, zerstört das Leben von Georges Schwester Marie (Olga Nasfeter). Deren Schicksal „zwischen den Fronten“ verfolgt diese Inszenierung mit besonderer Aufmerksamkeit und Intensität. Marie ist die Einzige, die als Opfer erscheint.

    Seltsam stockend und verhalten geht das Bühnengeschehen voran. Als müssten sich die Darsteller immer wieder aus einer Erstarrung lösen, als sei der Fortgang des Kampfes eine Art Pflichtprogramm, das eben erledigt werden muss. Brechts expressive Sprache findet keinen Rahmen und keinen rechten Halt in dem, was uns gezeigt wird. Vom Beschleunigungsfaktor Großstadt nichts – stattdessen schmaucht man Pfeife wie Dörfler am Feierabend auf der Bank vorm Häuslein und harrt der Dinge. Alle Anforderungen des epischen Theaters werden abgearbeitet – auch wenn Brecht dieses Programm noch längst nicht formuliert hatte, als er Anfang der 1920er Jahre in Augsburg „Im Dickicht“ schrieb. Toomas Täht, nicht immer gut zu verstehen, ist ein statuarisch steifer, unbewegter, undurchschaubarer Shlink, einer, der höchstens im Mienenspiel einmal andeutet, welchen Werwolf er im Zaum zu halten hat. Dagegen ereifert sich Tjark Bernaus Garga umso mehr – er ist auf einem Trip der Entwurzelung, Verirrung und emotionalen Dauererregung. Die Kämpfenden kämpfen viel aneinander vorbei. Größter Ausbruch von Gewalt sind die Ohrfeigen, die Vater Garga Sohn und Tochter verpasst.

    Ein Tanz auf Leben und Tod, ein Liebesakt in Trümmern

    Wenn die Regisseurin aus Tel Aviv Lesarten wagt, sind es nur Angebote, keine durchgehenden Entscheidungen. Sucht Shlink Erlösung, wie er da kniet vor Garga, der ihm Gin einflößt als sähen wir eine Kommunion? Garga also von Anbeginn eine Art zufällig gewählter Heilsbringer? Oder ist der Kampf dieser Männer eine Amour fou, eine zerstörerische Anziehung? Darauf jedenfalls steuert der starke Schluss zu, der in einem von wummernden Bässen begleiteten Ringen der Männer gipfelt – ein Tanz auf Leben und Tod, ein Liebesakt, ein Moment der erlösenden Vereinigung vor dem unausweichlichen Ende. Zwei Männer, die Gefühle nur im Kampf zeigen können, die nicht aushalten und deshalb niederringen müssen, was sie ersehnen. Die Szene spielt in einem Trümmerfeld, zwischen Schubkarrenladungen ausgekippter Steine. Überreste oder Material zum Aufbau? Shlink wählt den Freitod. Für Garga, der Verwüstung und dem Chaos entfliehend, geht der (Leer-)Lauf des Lebens weiter.

    Eine respektable, in der Premiere freundlich beklatschte Brecht-Inszenierung. Aber man weiß es ja: Mit dem „Dickicht der Städte“ tun sich Publikum, Kritiker und Theater seit bald einem Jahrhundert schwer. Und bleiben unerlöst.

    Nächste Aufführungen am 9., 15., 16. Februar, 1., 8., 14. März

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