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Theater Augsburg: Eine Familie zerfleischt sich

Theater Augsburg

Eine Familie zerfleischt sich

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    Tennessee Williams starkes Stück „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ ist quasi die realistische Version von Sartres „Die Hölle, das sind die anderen“.
    Tennessee Williams starkes Stück „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ ist quasi die realistische Version von Sartres „Die Hölle, das sind die anderen“. Foto: Nik Schölzel

    Wie es bei unseren Nachbarn so zugeht, ist jetzt am Theater Augsburg zu sehen. Probleme zuhauf. Der jüngere Sohn säuft. Der Vater hat Krebs. Der ältere Sohn versucht sich in Erbschleicherei. Die eine Schwiegertochter kriegt zu viele Kinder, die andere gar keine. Und über allem schwebt die Vermutung, der saufende jüngere Sohn könnte – auch das noch! – homosexuell sein. Wäre schlimmer als seine Abhängigkeit vom Alkohol.

    Tennessee Williams starkes Stück „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ ist quasi die realistische Version von Sartres „Die Hölle, das sind die anderen“. Wenn sich alle bloß auf die Nerven gingen würden, wäre hier schon viel gerettet an schlecht-rechter Familienharmonie. Stattdessen ist nahezu jede Unterhaltung vergiftet und die Zerfleischung allseitig.

    Am Theater Augsburg entsteht nun daraus eine weiter zugespitzte Tour de Force. Immer verbaler Hochdruck, nicht selten an der Grenze zur Keilerei. Indem das lange, dreiaktige Drama zusammengezogen wurde auf pausenlose 100 Minuten, verdichtet sich der brutale Schlagabtausch weiter. Anschlag folgt auf Anschlag, Explosion auf Explosion. Manche Hitzigkeiten paralysieren sich gegenseitig.

    Schauspiel-Neuzugang Jessica Higgins überzeugt besonders

    Nicht, weil sie ansehnlich ist (und sich herzeigt), überzeugt der Schauspiel-Neuzugang Jessica Higgins als Margaret in besonderem Maße, sondern weil sie Charakter, Wort und Körpersprache fulminant zusammenführt: Jede argumentative Verbiegung, jede (Selbst-)Lüge, jede harte Wahrheit wird bei dieser affektgeladen-überspannten Frau zu einer Verrenkung von Arm und Bein. Ein vor allem sich selbst liebendes Model tut hilfsbereit – aber legt ständig hetzend Lunte. Die Schauspieler, die gerade nicht zu agieren haben, schauen auch ihr gebannt zu – von unterhalb des engen, weißen, perspektivisch verzogenen Guckkastenraums, der die Spieler größer erscheinen lässt und sie zusammendrängt, auf dass der Druck noch erhöht werde im Kessel. Hier entrinnt keiner.

    Zwei Prinzipien der cholerischen Inszenierung von Matthias Frontheim werden schnell deutlich. Zum einen das Wechselspiel zwischen handelnden Exhibitionisten oben und Voyeuren unten; zum zweiten die Allgemeingültigkeit und Zeitlosigkeit des erbitterten familiären Nahkampfs im leeren, abstrakten, nahezu requisitefreien Raum (Bühne: Elisabeth Pedross). Tennessee Williams spielt in Augsburg nicht in den US-Südstaaten, sondern immerüberall. Beste Voraussetzungen.

    Emotionslose Kälte wirkt gefährlicher

    Dass dann doch nicht das Optimale herausgeholt wird, das liegt daran, dass auch Frontheim wieder – wie momentan so viele Regisseure – dem modischen Glauben aufsitzt, Phonzahlen seien gleichbedeutend mit Intensität. Und so wird auch hier wieder über weite Strecken im Staccato nur geschrien. Dass es bei Familiengroßkriegen kaum ohne Brüllerei abgehen dürfte, ist klar. Gehört dazu. Gleichzeitig gehört zum Regisseurshandwerk das Wissen, dass ein entsetztes Flüstern unheilvoller sein kann als ein entsetztes Brüllen. Dass charmante Niedertracht, charmante Tücke tiefer trifft. Dass emotionslose Kälte oft gefährlicher ist/wirkt als emotionale Hitze.

    Die Figuren setzen alle Mittel im kalkulierenden Kampf jeder gegen jeden ein. Warum nicht kalkulierend der Regisseur? Zwei, drei Generalpausen gibt es an diesem Abend. Sie lasten erdrückend, weil erschöpfte Angreifer erst einmal wieder die Kraft für ihre nächsten Attacken sammeln müssen. Diese dramatische Dimension kommt entschieden zu kurz. Man sollte Handzettel austeilen diesbezüglich bei der nächsten Intendantentagung.

    Gleichwohl nimmt der Abend mit. Unter den drei Neuproduktionen des unter neuer Leitung stehenden Augsburger Schauspiels ist er der beste – auch der Ensembleleistung wegen. Ute Fiedler als Big Mama ist keine fette Alte wie bei Tennessee Williams, sondern eine attraktive, erfolgsverwöhnte Unternehmergattin, die verzweifelt versucht, Contenance und Optimismus zu wahren. Lea Sophie Salfeld als Mae ist selbst im Umgang mit ihrem Mann Gooper (Alexander Darkow) perfid-hintertriebener, als man es einer in guter Hoffnung Befindlichen zutrauen mag.

     Neu im Ensemble ist auch Gregor Trakis, der einen relativ jungen Big Daddy gibt: bestenfalls ein Silberrücken-Gorilla, häufiger und schlimmstenfalls ein ordinärer Tyrann. Brick allerdings, der Säufer, bleibt in Augsburg ein kritischer Punkt. Ronny Miersch legt ihn als eher nervenschwachen, letztlich weinerlichen jüngeren Sohn an. Das aber trifft die im Dauerpegel dauerlächelnde Basis-Gleichgültigkeit dieses Brick nicht so recht, der sich hinter seinem Whisky verschanzt und einkapselt.

    Langer, betroffener Applaus. Das Schauspiel nimmt Fahrt auf.

    Weitere Termine: 8., 11., 17., 18., 24. Oktober

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