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Theater: Albtraum im Lametta-Flimmer

Theater

Albtraum im Lametta-Flimmer

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    Ein Boot im Mittelpunkt des Parcours, den Bluespots Productions für das Friedensfest als „Utopische Zone“ am Elias-Holl-Platz aufgebaut haben.
    Ein Boot im Mittelpunkt des Parcours, den Bluespots Productions für das Friedensfest als „Utopische Zone“ am Elias-Holl-Platz aufgebaut haben. Foto: Silvio Wyszengrad

    Südseeflair überrascht in der Altstadt. Freundlich flattert goldenes Lametta über dem Elias-Holl-Platz. Dann Irritation und Bestürzung: Ein riesiges Schlauchboot ruht in der Mitte des Flittervorhangs. Grauweiß, gebraucht. Die zerkratzten Seitenteile aufgepumpt, die Spitze ragt hoch Richtung Ecke-Galerie.

    Das Boot hat eine Geschichte. Aus ihm rettete die Sea-Watch letztes Jahr etwa 100 Flüchtlinge. Friedrich Reich aus Leitershofen war dabei, barg das Boot nach der Rettung und brachte es nach

    Der sechzig Meter lange Lametta-Vorhang weht für Europa, für die Grenzen des Kontinents. Vorhanden, aber durchlässig, leise im Wind flirrend. Fast kitschig, aber nur fast. „Wir bearbeiten oft harte, unbequeme Themen. Damit da kein Birkenstock-Betroffenheitstheater raus wird, brauchen wir immer diesen Bruch. Das Glitzer-Lametta schien uns als Rahmen passend für diesen schwimmenden Sarg. Außerdem sorgt es für die nötige Aufmerksamkeit im Stadtraum“, so Pichler.

    Bluespots wäre nicht

    Für das Projekt bewarb sich Bluespots 2017 mit vierzig weiteren Teams beim europäischen Förderprogramm „Tandem“. Bluespots gewann als einziges deutsches Ensemble und tat sich mit den beiden Architektinnen Johanna Bratel und Karin Andersson von Dis/Order in Schweden zusammen. Im Tandem recherchierten sie bei dem Seenotretter Friedrich Reich und bereisten Grenzen von Griechenland bis Norwegen, um die mentalen und physischen Sperren zwischen Staaten und Menschen zu erkunden.

    Die Nacht vor dem Augsburger Friedensfest verbringen die Künstlerinnen zusammen mit Friedrich Reich und Leon, einem Arzt von der „Mission Lifeline“, im Boot. Eine Mahnwache. Ein gewagtes Experiment. Schon für den Aufbau versammelt sich die junge Szene. Bier und Cola trinkend beobachten vier junge Männer aus Eritrea das Treiben. Kunst, aha. Das Boot erkennen sie.

    Aber nein, sie selbst seien 2014 von Libyen noch auf Holzschiffe gestiegen. Auch kein Spaß, Menschen seien ertrunken. Nasir und Ramin, beide 19, schauen angestrengt. Die Afghanen setzten von der Türkei in einem solchen Boot nach Griechenland über. Ramins Boot kenterte, die Hälfte der etwa 100 Menschen ertranken, bevor die Küstenwache ihn rettete. Ramin schaut weg. Auch in Nasirs Boot ertranken mehrere Babys. „Ich denke da nicht mehr dran. Die Erlebnisse sind weg und das Boot hier ist mir egal“, sagt er. Doch die Installation wirkt.

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