Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten
Feuilleton regional
Icon Pfeil nach unten

Staatstheater Augsburg: Digitales Staatstheater: Wenn Computerfreaks Opern loben

Staatstheater Augsburg

Digitales Staatstheater: Wenn Computerfreaks Opern loben

    • |
    Tina Lorenz leitet seit dieser Spielzeit die neue Digitalsparte des Staatstheaters Augsburg.
    Tina Lorenz leitet seit dieser Spielzeit die neue Digitalsparte des Staatstheaters Augsburg. Foto: Mercan Fröhlich

    Tina Lorenz wird das Staatstheater ins digitale Zeitalter führen. Seit dieser Spielzeit ist sie die Leiterin der „Digitalsparte“, die Kunst und Technologie zusammenbringt. Ihren Arbeitsplatz im Martinipark hat sie schon angetreten. Im August war die Theaterwissenschaftlerin und Amerikanistin mit Mann und Sohn aus Regensburg an den Lech gezogen. Virtual-Reality-Inszenierungen hatte Intendant André Bücker im Frühjahr und Sommer schon aus dem Boden gestampft und dem Augsburger Publikum vorgestellt. Sie waren Schnellschüsse, aus der Pandemie-Not geboren. Schon Ostern war das Staatstheater mit „Judas“ den Sprint in die Virtual-Reality-(VR)Zeit angetreten.

    360-Grad-Kameras nahmen Schauspiel- und Ballettinszenierungen auf, die Agentur Heimspiel im Martinipark schnitt und produzierte den Film, der dann samt VR-Brille per Fahrradkurier zum Zuschauer geliefert wurde. Inzwischen haben sich die VR-Anfänge verstetigt, das Theater bietet derzeit fünf verschiedene VR-Produktionen an.

    In der deutschen Theaterszene ist dem Staatstheater ein Coup gelungen

    Schon damit war Bücker in der deutschen Theaterszene ein Coup gelungen. Jetzt soll Tina Lorenz die Notlösung zur digitalen Gesamtstrategie für alle Sparten ausbauen. Auch dies: Pionierarbeit, bei der die deutsche Theaterszene interessiert zuschaut.

    „Wir gucken Theater wie vor 200 Jahren.“ So fasst es Tina Lorenz zusammen. Die gebürtige Berlinerin hat in Wien und München studiert, war Dozentin für Theatergeschichte an der Akademie für Darstellende Kunst Bayern und zuletzt Dramaturgin am Landestheater Oberpfalz sowie Referentin für digitale Kommunikation am Staatstheater Nürnberg. Sie ist Gründungsmitglied der Hackspaces metalab Vienna und Binary Kitchen Regensburg und sitzt in der Auswahlkommission der Dortmunder Akademie für Theater und Digitalität. Auch ihre politischen Ideen und ihr Engagement hat sie nicht schleifen lassen: In Regensburg war sie vier Jahre, bis zur letzten Kommunalwahl im April für die Piraten Partei Mitglied des Stadtrats.

    In den 1990er Jahren erlebte Lorenz beim Chaos Computer Club die Zeit des Aufbruchs

    Ein fertiges Digitalisierungskonzept mit Ablauf- und Fristenplanung bringt sie nicht mit. Dass sie jedoch auch einen technologischen Kompass hat für die Verschmelzung von 3-D-Produktionen und traditionellem Bühnengeschehen, zeigt ihre Biografie. Sie stammt aus der Programmierszene um den Chaos Computer Club (CCC), offene Prozesse sind Teil ihrer Sozialisierung. Hier erlebte sie Ende der 1990er Jahre die Zeit des technologischen Aufbruchs, des elektronischen Bastelns, als man noch im Schneckentempo über die ISDN-Telefonbuchse der Eltern surfen musste.

    „Es war eine irre Zeit. Jeder konnte sich Webseiten bauen, alles war frei“, schwärmt sie. Auch wenn sie heute nicht mehr die Zeit hat, zu den CCC-Kongressen nach Leipzig zu reisen – wenn sie Zeit hat, bastelt sie Elektronik. Zuletzt eine Pflanze die Tonleitern spielt oder einen motorisierten Stiftplotter, der ein digital gespeichertes Bild in eine Zeichnung verwandelt.

    Noch war sie in Augsburg an keiner Produktion beteiligt. Die Oper „Orfeo ed Euridice“ erlebte sie aus der Perspektive des Zuschauers. „Die Oper ist ein Hybrid. Das gab es so in Deutschland noch nicht. Die Zuschauer erleben die Handlung sowohl auf der realen Bühne als auch über die VR-Brille auf der virtuellen Bühne. Großartig“, sagt sie. Als Tester hatte sie einen Kollegen aus dem CCC mitgenommen. „Der würde freiwillig nie in eine Oper gehen. Er war hin und weg von dem Erlebnis.“ Die Kritik im Nachgang nimmt sie sportlich: „Alles ist neu und Feedback ist wichtig. Ein Zuschauer sagte, er schaute in die VR-Brille und sei so sehr vom Bild gefangen gewesen, dass er der Musik nicht richtig zuhören konnte. Da müssen wir bei den Bildern sicher etwas abspecken, mehr abstrahieren.“

    Sie sieht sich als Schnittstelle zwischen Künstlern und Computer-Freaks

    Lorenz Sprache ist direkt und unverschnörkelt. Sie ist selbst eine Art Hybrid und sieht sich als Schnittstelle zwischen Künstlern und Computer-Freaks. Dafür sei Augsburg der ideale Ort, findet sie. Schon dass man ihr beim Einstellungsgespräch zusagte, sie bekäme ein VPN, also einen privaten Internet-Tunnelzugang direkt zum Netzwerk und den Daten des Staatstheaters, zeige, dass es hier bereits eine Arbeitskultur gebe, an die sich anknüpfen lässt. „In anderen Theatern kennt man noch nicht mal das Wort VPN“, grinst sie.

    Doch VR sei – wie Bühnenbilder, Kostüme, Effekte – nur Hilfsmittel. „VR alleine ist spektakulär. Spannend wird es als Begegnungskonzept. Wenn also das Schlagwerk des Orchesters oder die Geigerin direkt neben einem steht“, so die Theaterwissenschaftlerin. Viel Wert legt sie auf die kulturelle Bildung, vor allem während des drohenden zweiten Lockdowns. So sei die neue VR-Produktion „Event“, ein Monolog mit Patrick Rupar, auch auf Englisch erhältlich. Die Idee: Lehrer könnten ihren Oberstufenschüler die Brillen nach Hause ausliefern lassen und das Gesehene in Zusammenarbeit mit der Pädagogin des Staatstheaters über Videokonferenzen diskutieren.

    Das könnte Sie auch interessieren:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden