139 Straßen und Wege von Pfersee tragen einen amtlichen Namen. Jenseits der praktischen Aspekte der Adressierung und Orientierung steckt in diesen Bezeichnungen einiges an Ortsgeschichte. Aus dem Dorf Pfersee wurde Ende des 19. Jahrhunderts ein Industriestandort. Die Bevölkerung wuchs deshalb rasant. Zur Orientierung in den neuen Wohnvierteln führte man im Jahr 1906 die amtliche Straßenbenennung ein. Zuvor waren alle Pferseer Anwesen durchnummeriert. So hatte der damals nördlichste Bauernhof die Adresse „Pfersee 1“, heute „Deutschenbaurstraße 6“.
Der Pferseer Gemeinderat entschied sich 1906 vorwiegend für Straßennamen mit Lokalbezug. Man erinnerte an Flurnamen („Im Anger“) oder an Einrichtungen, wie die Kneippsche Kaltwasserheilanstalt („Kurhausstraße“). Eine Würdigung erfuhren mehrere Pferseer Persönlichkeiten, so Schlossherren („Kazböckstraße“), Stifter („Franz-Kobinger-Straße“), Fabrikanten („Eberlestraße“) und Bürgermeister („Pürnerstraße“). Amtlich übernommen wurden die volkstümlichen Namen für die drei Hauptstraßen, nämlich „Augsburger Straße“, „Stadtberger Straße“ und „Leitershofer Straße“.
Viele Straßennamen mussten bei der Eingemeindung umbenannt werden
Pfersee wurde im Jahr 1911 ein Stadtteil von Augsburg. Nach dieser freiwilligen Eingemeindung mussten 31 der 47 Straßen wegen gleichlautender oder ähnlicher Bezeichnungen im alten Augsburger Stadtgebiet umbenannt werden. Die Augsburger Ratsherren machten den siegreichen Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 zum Straßennamen-Thema im nördlichen Pfersee. So wurde die „Krautgartenstraße“ in „Orleansstraße“ umbenannt. Im südlichen Pfersee huldigte man dem bayerischen Königshaus mit einem siebenköpfigen „Prinzenviertel“. Prinz Luitpold wurde nicht nur der Namenspatron der „Luitpoldstraße“, sondern auch der Pferseer Wertachbrücke. Bei der Eingemeindung 1911 durfte die Hauptschlagader des neuen Stadtteils ihren Namen behalten. Aber schon bald hinterfragte man die Sinnhaftigkeit einer „Augsburger Straße“ in Augsburg. So kam es immer wieder zu Umbenennungsanträgen, insbesondere während der NS-Zeit. Bald nach dem Krieg war die US-Hauptstadt Washington als Namenspatron im Gespräch. Dieser Vorschlag wurde nur knapp abgelehnt.
Pfersee blieb von nationalsozialistischen Propaganda-Bezeichnungen verschont. Bald nach Kriegsende erfolgte jedoch die Umbenennung von drei Straßen zugunsten von Augsburger NS-Widerstandskämpfern. So machte man aus der „Sedanstraße“, benannt nach dem Schlachtort von 1870, die „Leonhard-Hausmann-Straße“. Der NS-Widerstand hat sich dann als Straßennamen-Thema angeboten, als die Sheridan-Kaserne mit der Halle 116 als ehemaliges KZ-Außenlager in das Wohn- und Gewerbegebiet Sheridan-Park umgewandelt wurde. Dort erinnern seit 2007 zehn Straßen an vorwiegend Augsburger Widerstandskämpfer, wie die Familie Pröll. Außerdem wurde mit Ernst Lossa ein 14-jähriges NS-Euthanasieopfer geehrt. Auch die Zeit als US-Kaserne spiegelt sich im Sheridan-Park auf Straßenschildern wider. So würdigt der „John-May-Weg“ einen US-Offizier wegen seines Einsatzes für die deutsch-amerikanische Freundschaft vor Ort. Der aktuellste Pferseer Straßenname heißt „Damastweg“. Diese Bezeichnung nach einem Webstoff erinnert auf dem Dierig-Gelände an die Pferseer Industriegeschichte mit einst vier Textilfabriken.
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Wilfried Matzke leitet das für die Adressierung zuständige Geodatenamt der Stadt Augsburg. Der Diplom-Ingenieur der Geodäsie beschäftigt sich gerne mit der Geschichte der Straßenbenennung und Hausnummerierung.
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