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Serie "Junge Künstler": Mit ihrer Kunst will die Augsburgerin Mariella Kerscher auch anstoßen

Serie "Junge Künstler"

Mit ihrer Kunst will die Augsburgerin Mariella Kerscher auch anstoßen

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    Vergänglichkeit ist ein wichtiges Thema der Augsburger Künstlerin Mariella Kerscher.
    Vergänglichkeit ist ein wichtiges Thema der Augsburger Künstlerin Mariella Kerscher. Foto: Marcello Curto

    „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, schrieb Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“, in dem es weiter heißt: „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe/ Bereit zum Abschied sein und Neubeginn.“ Damit hat er knapp 80 Jahre, bevor die Augsburger Künstlerin Mariella Kerscher ihre Serie „Kardia“ fertigstellte, sowohl den Betrachtungsgegenstand als auch das Leitmotiv ihres Werks formuliert.

    Schon während Kerschers Studiums an der Akademie der Bildenden Künste München kristallisierte sich die Vergänglichkeit als ihr Thema heraus. Auf der Straße gefundene Fragmente toter Tiere konservierte sie und verwendete diese für ihre Installationen. Doch dann verschob sich ihr Interesse unter die körperliche Hülle, „die noch Form gibt, wie das Fell, die Flügel oder das Skelett“. Die inneren Organe, das Herz, rückten ins Zentrum ihres Werks.

    Mariella Kerscher erarbeitet feingliedrige, ornamentale Detailstudien

    Für die Arbeiten ihrer Kardia-Reihe betrachtet sie das Herz als Ganzes, seziert es zuerst mit dem Skalpell, dann mit dem Bleistift und ordnet die Fragmente anschließend zu neuen Strukturen. Daraus entstehen feingliedrige, ornamentale Detailstudien des Organs mit Blei- und Buntstiften, aber auch fiebertraumartige, kraftvolle Kompositionen von organischen Oberflächenstrukturen aus blutroter und tiefschwarzer Tusche.

    Mariella Kerscher, Muta 2, Graphit auf Papier.
    Mariella Kerscher, Muta 2, Graphit auf Papier. Foto: Kerscher

    Für Hesse schreiten Abschied und Neubeginn in Stufen voran, Kerscher betrachtet sie als einen Zyklus aus Wachsen, Mutieren, Sterben und wieder Wachsen: „Bei mir heißt es eher, dass jedem Anfang ein Ende innewohnt und jedem Ende ein Anfang.“ So konzentriert sie sich in den Serien „Ursprung“ und „Pla“ aus dem vergangenen und aktuellen Jahr auf die Plazenta, ein Organ, das „jeden betrifft, weil alle Menschen damit in Kontakt waren. Niemand wäre ohne Plazenta da“.

    Es ist faszinierend, wie Organe jede Sekunde ein Leben lang das Leben ermöglichen und trotzdem abstoßend auf den Betrachter wirken können. Ein Herz büßt eben erst einmal an Ästhetik ein, wenn es nicht gerade aus rotem Karton ausgeschnitten in einem Muttertagsstrauß hängt. Und die Gedanken an Tod und Verfall schiebt man gerne weit von sich.

    Künstlerin Mariella Kerscher mag, wenn etwas anstößt

    Die Reaktionen auf die Arbeiten von Kerscher, die vergangenes Jahr von der Stadt Augsburg ein Arbeitsstipendium im Rahmen der Kunstförderpreise erhielt, sind daher durchaus ambivalent. Doch Kerscher mag es, „wenn es anstößt. Es ist mein bescheidenes Anliegen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Vergänglichkeit, die oft tabuisiert wird, alltäglich ist“. Und eben auch ästhetisch, wie ihr Portfolio von der Fotoserie verfallener Häuser bis zu den Tuschezeichnungen verwelkter Rosen zeigt.

    Dass der Kunst ein Zauber innewohnt, kann man erleben, wenn man im Museum von einem Gemälde oder einer Skulptur eingenommen wird und über ihre Betrachtung die Zeit vergisst – Mariella Kerscher erlebte diesen Moment das erste Mal auf der Biennale in Venedig im Jahr 2009 mit dem Werk des schwedischen Künstlerduos Nathalie Djurberg und Hans Berg.

    Oder der Zauber entsteht durch Selbsterschaffenes. Schon in ihrer Kindheit war das Zeichnen Kerschers Lieblingsbeschäftigung, in der Schule weckten Kunstlehrer ihre Begeisterung für die zeitgenössische Kunst und wiesen ihr den Weg an die Akademie. Sie lernte in der Installations- und Bildhauerklasse bei Albert Hien im Kopf Bildwelten zu bauen und in Objekte zu übersetzen, bis sie sich mehr und mehr auf das Zeichnerische konzentrierte und das Dreidimensionale auf den zweidimensionalen Raum übertrug. So entstand ihr Stil.

    Kerscher hat einen wunderbaren Brotjob - als Kunstlehrerin

    Doch heute ist es schwer, als bildende Künstlerin von der Kunst zu leben, werden doch auch in diesem Metier Frauen grundsätzlich schlechter bezahlt als Männer. Nicht zuletzt hält es Sammler ab, in die Werke einer Künstlerin zu investieren, weil sie nach einer möglichen Schwangerschaft „fürchten, dass die Künstlerin dann weniger fokussiert und produktiv ist“.

    Ihr „wunderbarer Brotjob“ als Kunstlehrerin an einer Münchner Schule erlaubt ihr aber weiterhin, ins Atelier zu gehen, produktiv und kreativ zu sein. Und sie kann den Zauber der Kunst bei ihren Schülerinnen und Schülern wecken, ihr Wissen und ihre Begeisterung an eine neue Generation weitergeben. So schließt sich auch dieser Zyklus, der bei Mariella Kerscher als kleines Mädchen mit einem Stift und einem leeren Blatt Papier begann.

    Im Museumsshop des H2-Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast ist eine Edition von Zeichnungen Kerschers zu sehen; eine Auswahl ihrer Arbeiten aus den letzten drei Jahren findet sich auf der Internetseite mariellakerscher.de

    Hier gelangen Sie zu weiteren Folgen unserer Serie "Junge Künstler":

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