Wenn man sich in den letzten zwölf Monaten mit Bands unterhalten hat, gab es ein wiederkehrendes Motiv: Eigentlich hatten wir dies und das vor, dann durchkreuzte das Virus alle Pläne. Das Augsburger Quintett Mount Adige war schlau genug, sich einfach nach dem März 2020 zu einer Band zu formieren, so fiel die Phase der Umgewöhnung auf das Ungewohnte aus. Das brachte sogar den einen oder anderen Vorteil mit sich. Das erste große Konzert der Jazz-Popband fand auf der ausverkauften Sommerbühne im Annahof vor einem nach Livemusik dürstenden Publikum statt.
Schlagzeuger Felix Rumstadt erinnert sich, dass „die Leute superaufmerksam bei der Musik waren, auch wenn die Situation mit dem Sitzen schon anders ist, als wenn alle dicht gedrängt vor der Bühne stehen. Die Stimmung war trotzdem cool“. In gerade mal sechs Wochen machten die fünf Musikerinnen und Musiker zwölf eigene Songs bühnenreif. Das ist bemerkenswert, sind die durchdachten Arrangements der Band nicht gerade schnell heruntergerotzte Punksongs. Diese würden auch nicht zu dem erhaben klingenden Bandnamen passen.
Kern von Mount Adige sind Paul und Lotte Etschberger
Mount Adige. Man sieht vor dem geistigen Auge das Wasser des Flusses Adige, zu Deutsch Etsch, durch die Bergmassive des Ötztals springen und sucht noch nach dem alpenländischen Element in dem von Soul durchtränkten Pop des Quintetts, als plötzlich der Groschen fällt. Berge, die Etsch, Etschberger.
Kern der Band sind Sängerin Lotte und Pianist Paul Etschberger. Es ist kein seltenes Phänomen in der Welt der Popmusik, dass Geschwister zusammen Musik machen. Die musikalischen Gene, in ihrem Fall des jazzenden Vaters, sind dieselben. Einen Proberaum braucht man auch nicht zu suchen, wenn man unter einem Dach wohnt. Jahrelang coverten sie sich durch ihre musikalische Sozialisation, erschufen erste eigene Stücke. Dabei ist Paul Etschberger eine ähnlich sprudelnde, nie versiegende Quelle wie die des kleinen Bergflüsschens Etsch. Rumstadt findet es „Wahnsinn, was alles aus ihm rausfließt. Er fängt viel an, macht es aber auch fertig“.
Mount Adige ist durch die Bank mit ordentlich Talent gesegnet
Der Schlagzeuger war nach Bassist Jonas Horde, der sich durch einen soliden Funkbass und einen makellos rasierten Schnauzbart auszeichnet, der zweite Musiker, der das Duo zu einer ausgewachsenen Band werden ließ. Dass eine Musikerin wie Luisa Schapf als zweite Stimme mit in die Band kommt, beweist, wie hoch die Qualität von Mount Adige ist. Allein der Song Hector & Paris, der im Rahmen der von „Das Kitsch“-Sänger Martin Schenk ins Leben gerufenen Hooksessions aufgenommen wurde, zeigt erstens, dass die fünf deutlich mehr Musik gehört haben als nur morgendliche Radiohits, und zweitens, dass alle nicht nur viel geübt haben, sondern durch die Bank mit ordentlich Talent gesegnet sind.
Das Stück wird getragen von einer einprägsamen Klavierlinie, das Schlagzeug treibt zurückhaltend, die weiche, klare Stimme von Lotte Etschberger schwingt sich in einen Ohrwurmrefrain auf und Schapfs Synthies machen beim kurzen Instrumentalteil am Schluss den Song weit auf. Fast 20 Stücke sind gerade in Arbeit, Bassist Jonas hat sich im Frequenzgarten-Studio eingenistet und destilliert daraus eine für Juli geplante Debüt-EP. Gerade verschiebt sich ja gerne mal etwas. Trotz der Erfahrung als Post-Lockdown-Band kämpfen auch Mount Adige mit den Widrigkeiten der Pandemie. Auch wenn für den einen und die andere die Haupteinnahmequelle weggebrochen ist, kann von Verzagtheit aber keine Rede sein.
Lotte Etschberger fühlt sich „auch nicht schlechter“, die Band erfindet neue Formate wie die Instagramserie „30 Seconds with …“, in dem sie Stücke, durch die sie Inspiration fanden, in der kurzen Zeit so auf den Punkt bringen, als wären sie schon immer nur für eine halbe Minute geschrieben worden. In den stylishen Schwarz-Weiß-Videos sieht man die fünf Bandmitglieder, alle in eigenen Kacheln, alle mit eigenem musikalischen Hintergrund. Doch selbst bei getrennten Aufnahmen fließen die Stilistiken zu einem warmen, homogenen Klang zusammen. „Das Duo, nur Gesang und Gitarre, bzw. Gesang, wurde uns irgendwann zu langweilig. Wir wollten mehr Varietät“, erzählt Lotte Etschberger. Ob das Duo langweilig war, sei dahingestellt. Dass Mount Adige eine spannende Band geworden ist, das ist sicher.
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