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Restitution: Mit der Kunst wurden jüdischen Familien auch die Erinnerungen geraubt

Restitution

Mit der Kunst wurden jüdischen Familien auch die Erinnerungen geraubt

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    Emotionaler Moment: Miriam Friedmann, Tochter einer alten jüdischen Augsburger Familie, erhält am 25. Juli 2018 das Gemälde „Bauernstube“ aus den Staatsgemäldesammlungen von Generaldirektor Bernhard Maaz zurückerstattet.
    Emotionaler Moment: Miriam Friedmann, Tochter einer alten jüdischen Augsburger Familie, erhält am 25. Juli 2018 das Gemälde „Bauernstube“ aus den Staatsgemäldesammlungen von Generaldirektor Bernhard Maaz zurückerstattet. Foto: Franziska Pietsch

    Die eindrücklichsten Momente erlebt Anja Zechel, wenn ihre Arbeit getan ist und der wahre Eigentümer geraubter Kunstwerke ermittelt ist. „Die Rückgabe an die Erben ist immer ein emotionales Ereignis, allerdings kein nur freudiger Augenblick“, weiß die Provenienzforscherin der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Denn es steigen belastende Erinnerungen hoch – zugleich mit Gefühlen der Genugtuung. Zechel erzählt davon am Dienstagabend im Online-Gespräch mit Barbara Staudinger, der Direktorin des Jüdischen Museums Augsburg, und mit Miriam Friedmann, die 2018 ein Ölgemälde ihrer Eltern zurückerhalten hat, das diese bis zu ihrem Suizid am Tag vor ihrer drohenden Deportation begleitet hatte.

    Eintragungen auf der Rückseite des Bildes legten ergiebige Spuren

    Das Finanzamt Augsburg Stadt hat es am 22. Mai 1943 „aus jüdischem Besitz“ übernommen und die Reichskulturkammer bot es alsbald den Staatsgemäldesammlungen zum Erwerb an. Seither war es dort unter Inventarnummer 10.859 gelistet. Was es mit diesem Gemälde auf sich hat, förderte Anja Zechel bei der Überprüfung aller Neuzugänge zwischen 1933 und 1945 mit systematischer Nachforschung und etwas Glück zutage. Denn Eintragungen auf der Rückseite des Bildes „Bauernstube“ legten mehrere ergiebige Spuren: dass es von dem Münchner Maler Ernst Müller stammt, dass es die Galerie Heinemann 1919 verkauft hat und dass doppelt die mysteriöse Zahl 1157 aufgetragen ist.

    Eintragungen auf der Rückseite des Bildes „Bauernstube“ legten mehrere ergiebige Spuren: dass es von dem Münchner Maler Ernst Müller stammt und dass es die Galerie Heinemann 1919 verkauft hat.
    Eintragungen auf der Rückseite des Bildes „Bauernstube“ legten mehrere ergiebige Spuren: dass es von dem Münchner Maler Ernst Müller stammt und dass es die Galerie Heinemann 1919 verkauft hat. Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen

    Damit gelangte die Forscherin an den Augsburger Wäschefabrikanten Ludwig Friedmann, der am Martin-Luther-Platz ein großes Geschäft hatte. Anja Zechel zeichnete den leidvollen Weg der jüdischen Familie nach, die in der NS-Zeit Besitz und Wohnung verlor und schließlich 1941 in ein „Judenhaus“ umziehen musste. Sie fand dann auch die amtliche Liste aller nach dem Tod der Friedmanns eingezogenen Gegenstände, allerdings war darin Position 8 mit der laufenden Nummer 1157 gestrichen; offensichtlich hatte eine andere Behörde schon die Hand darauf. Zugleich bewies diese Liste, dass das Bild sich bis zuletzt in der Wohnung der Friedmanns befand.

    „Es war der letzte Zeuge vom Leben meiner Großeltern Ludwig und Selma Friedmann“, ahnt die Enkelin Miriam. Der symbolische Wert mache es ihr so kostbar. Zumal sie nichts von dem Gemälde wusste. Der Brief der Staatsgemäldesammlungen kam „völlig unerwartet“. Miriam Friedmann wurde im amerikanischen Exil ihrer Eltern geboren, die vom Schicksal der Augsburger Großeltern wenig erzählten („sie wollten uns Kinder schonen“). Mit Deutschland kam sie in Kontakt, als die Universität München 1960 ihren Vater Friedrich Georg Friedmann als Amerikanistik-Professor berief. Die Tochter blieb noch bis 2001 in den USA. Mit der Geschichte ihrer Familie hat Miriam Friedmann sich dann intensiv für den Film „Die Stille schreit“ (2019) beschäftigt.

    "Anerkennung" ist ein besseres Wort anstatt "Wiedergutmachung"

    Empfindet sie Genugtuung über die Restitution des Bildes? „Nein, das Wort passt überhaupt nicht“, betont sie. „Man kann solche perfiden, kriminellen Vorgänge nicht wieder gutmachen.“ Eher ist es für sie eine Recognition, eine Anerkennung des erlittenen Unrechts. Sie suche gezielt das Gespräch mit den Nachkommen derer, „die unser Zuhause gestohlen haben“. „Wir teilen irgendwie ein Schicksal. Wir müssen uns nicht lieben, aber einander respektieren“, sagt Miriam Friedmann im Museumsgespräch. Allerdings erlebe sie auch, dass sie bei ihren Gesprächsanbahnungen abgewiesen wird mit der Begründung, sie schade dem Ruf der Familie.

    Ob ein einst geraubtes Gemälde prominent im Museum hängt oder im Depot schlummert, spiele für die Provenienzforschung keine Rolle, versichert Anja Zechel auf Nachfrage von Barbara Staudinger. Immerhin ist um manche Raubkunst, etwa Gustav Klimts „Goldene Adele“, erbittert um die Restitution prozessiert worden. „Das interessiert erst bei einer Eigentumsübertragung.“ Dann stellt sich die Frage, wie ein Kunstwerk angemessen vergütet wird. Es sei ja durchaus denkbar, dass die Erben ein geraubtes Gut gar nicht annehmen wollen, etwa weil es alte Wunden wieder aufreißt. Anja Zechel glaubt freilich, dass auch die Museen dazugelernt haben. „Kein Museum möchte heute noch Raubkunst an seinen Wänden haben.“

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