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Premiere: Im neuen Sensemble-Stück siegt Intellekt über das Zwerchfell

Premiere

Im neuen Sensemble-Stück siegt Intellekt über das Zwerchfell

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    Drei Frauen in „Herz über Kopf“: von links Kerstin Becke, Daniela Nering und Lisa Fertner.
    Drei Frauen in „Herz über Kopf“: von links Kerstin Becke, Daniela Nering und Lisa Fertner. Foto: Wolfgang Diekamp

    „Herz über Kopf 2.0“ heißt die aktuelle Sommertheater-Produktion des Sensemble-Theaters. Es waren nicht nur Gefühle, die bei der Premiere am Jakoberwallturm kopf standen. Da war das Wetter: Sommertheater in Daunenjacken und mit Decken. Obwohl die Vorstellung ausverkauft war, gab es dann auch einige leere Sitze: Fußballfans, die fürchteten, Schweden könnte Deutschland aus dem Turnier kicken. Ebenfalls durcheinandergewürfelt ist der Theaterraum: Die Sitze stehen da, wo sonst die Bühne war, und auf den Rängen wird gespielt. Multigeometrische Sitzbank- und Buchregal-Elemente von Architektur-Studenten der Hochschule Augsburg verbinden beide Räume und stellen eine öffentliche Bücherecke dar, ausgestattet mit Lektüre aller Art.

    Drei Frauen schmökern und rufen Heldinnen der Weltliteratur als Referenz ihrer jeweiligen emotionalen Perspektive auf: Madame Bovary, Sibyl Vane, Mirandolina und zeitgenössische Protagonistinnen aus Werken von Gérald Sibleyras und Nino Haratischwili. In Anlehnung an die erste Sommertheater-Produktion vor 20 Jahren, die damals „Herz oder Kopf“ hieß, hat Regisseurin Gianna Formicone mit „Herz über Kopf 2.0“ eine Collage weiblicher Ansichten über die Liebe erarbeitet. Neben literarischen Szenen sind es Aphorismen oder Bonmots, mit denen die drei argumentieren: Karoline von Günderrode versus Rilke versus Queen Victoria.

    Zwischen komödiantischer und ernsthafter Spielweise

    Schnell sind die Rollenverteilungen klar: Sibylle (Kerstin Becke) gibt die Romantisch-Naive, Violetta (Daniela Nering) die Abgeklärt-Ernüchterte, die trotzdem Spaß an Verführung hat. Emma (Lisa Fertner) kommt lange nicht aus dem Klischee des leicht dümmlichen Backfischs heraus, egal wie sehr sie zwischen den Polen, die die anderen setzen, schwankt. Auch

    Aber: „Der Charakter einer Frau zeigt sich nicht, wo die Liebe beginnt, sondern wo sie endet,“ zitieren die drei Rosa Luxemburg. So ist es auch mit der Inszenierung. Deren Qualität zeigt sich, je weiter der Theaterabend voranschreitet, denn desto besser kommen die Darstellerinnen in’s Spiel. Höhepunkt ist die Szene zwischen Sibyl Vane (Fertner) und Dorian Gray – den Nering derart gut als androgyn-kokettierenden Dandy spielt, dass spätestes jetzt niemand mehr männliche Konterparts vermisst. Auch Fertner kommt in ein anderes Spiel, die verletzend für ihre Liebe kritisierte und in den Selbstmord getriebene Sybil nimmt man ihr ab. Ebenso wie Becke den solo gespielten Dialog aus Arthur Millers „Letztem Yankee“ zwischen Patricia und Leroy, aus dem sie fesselnd alle Frustration herausholt. Was soll man davon halten, dass die bösen, die tragischen, die enttäuschten Lieben interessanter zu spielen sind als die süßen? „Es ist, was es ist, sagt die Liebe.“ Bevor die drei mehr sagen können, endet der Abend und das Publikum bleibt mit viel Futter für den eigenen Kopf und das eigene Herz zurück.

    Ein bisschen kopflastig war das alles: Intellekt siegt über Zwerchfell. Wer mit der Erwartungshaltung von „Gatte gegrillt“ oder „Kunst“ auf die Freilichtbühne am Jakoberwallturm kommt, mag enttäuscht werden. Besser als das Schauspiel auf den Straßen nach dem Fußballspiel war es aber: dort nur hupende Fußball-trunkene Fans.

    Weitere Aufführungen am 6., 7., 13., 14., 20., 21. Juli, 2., 3. und 4. August

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