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Neues Buch: Hat der Ötzi Baskisch gesprochen?

Neues Buch

Hat der Ötzi Baskisch gesprochen?

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    Ein bildschöner Ötzi, der im Film nichts Verständliches gesprochen hat: Jürgen Vogel in der Titelrolle von „Der Mann aus dem Eis“ (2017).
    Ein bildschöner Ötzi, der im Film nichts Verständliches gesprochen hat: Jürgen Vogel in der Titelrolle von „Der Mann aus dem Eis“ (2017). Foto: Martin Rattini, dpa/Port au Prince Pictures

    Europa vor 10.000 Jahren: Das Eis zieht sich langsam wieder zurück, in der Region des heutigen Südfrankreichs bis zum Atlantik hin lässt es sich einigermaßen temperiert leben. Ein nomadisches Hirtenvolk zieht mit seinen Viehherden durch die Landschaft, die später Aquitanien heißen wird. War es ein Volk? Waren es Volksstämme? Einerlei, denn alle Menschen dieser Jungsteinzeit verband eine Sprache, das Vaskonisch, das seinen Ursprung im Baskenland hatte. Davon geht der emeritierte Münchner Sprachwissenschaftler Prof. Theo Vennemann aus. Und Rupert Zettl, jahrzehntelang Kunsterzieher am Gymnasium Maria Stern, folgt ihm aufgrund eigener intensiver Forschungen. In einem 750-Seiten-Wälzer beschreibt Zettl nun „Ötzis Sprache“.

    Es ist das Werk eines ambitionierten Amateurs, das räumt der 70-jährige Lehrer, der in Leitershofen wohnt, frank und frei ein. Doch glaubt er in Fluss-, Flur- und Ortsnamen so viele Belege für den vaskonischen Ursprung entdeckt zu haben, dass er sich traut, sich – wie Vennemann – mit namhaften Wissenschaftlern anzulegen. Zettl weiß sich sattelfest. Vennemann spreche inzwischen von „unserer Theorie“. So schreibt Rupert Zettl in seinem Buch: „Ich halte eine gewisse Risikobereitschaft bei der Rekonstruktion des vorliegenden, altsprachlichen Großmosaiks für notwendig und durchaus zielführend.“

    Indogermanisten lehnen die Idee einer Ursprache entschieden ab

    Am hohen Alter dieser baskischen Vorläufersprache, die einzigartig isoliert auf die Pyrenäenregion dasteht, zweifelt niemand. Die Mehrheit der Sprachforscher lehnt jedoch die Hypothese einer europaweiten Verbreitung einer vaskonischen Ursprache oder Sprachfamilie ab. Der Indogermanist Dieter Steinbauer gibt etwa zu bedenken, dass es angesichts der großen Anzahl von Lehnwörtern aus dem Lateinischen und anderen indoeuropäischen Sprachen und der vergleichsweise jungen historischen Belege des Baskischen vermessen sei, eine vaskonische alteuropäische Ursprache rekonstruieren zu wollen.

    Auch der Indogermanist Michael Janda aus Regensburg, Direktor des Instituts für Sprachwissenschaft der Uni Münster, sieht die Annahme einer solchen Substratsprache sehr kritisch. „Sie dient oft als Ausflucht, um Wörter und Grammatik nicht akribisch innerhalb der jeweiligen Sprache verfolgen zu müssen“, urteilt er. Grundsätzlich müsse man die Begriffe einer Sprache aus ihr selbst heraus verstehen und dürfe nicht von vorneherein einen fremden Ursprung postulieren. Wenn dies nötig sein sollte, dann greift Michael Janda zuerst auf indogermanische Wurzeln zurück. „Eine Substratsprache zu vermuten, ist höchstens der dritte Schritt. Von der Vaskonentheorie halte ich überhaupt nichts“, sagt er auf Anfrage.

    Rupert Zettl sieht sprachliche Gemeinsamkeiten in einem großen Raum

    Solche Einwände fechten Rupert Zettl allerdings überhaupt nicht an. Überwältigend seien die sprachlichen Gemeinsamkeiten über einen großen Raum hinweg. Im Bayerischen haben sich nach seiner These noch immer Ausdrücke aus dem alpinvaskonischen Dialekt erhalten, die schon der „Ötzi“ verstand, der 5300 Jahre im Südtiroler Gletschereis ruhte. Zettl zählt dazu die „Hack“ (ako), die Alpe (albo = schräge Weide), die Birke (urki) und das Kneif (kannibet = Messer).

    Rupert Zettl hat einen Wälzer über die prähistorische Hirtensprache verfasst.
    Rupert Zettl hat einen Wälzer über die prähistorische Hirtensprache verfasst. Foto: Context Verlag

    Ein Erweckungserlebnis hatte Rupert Zettl bei der vorchristlichen Inschrift in einer hochalpinen Quellgrotte am Schneidjoch. Sie liegt in einer Felswand, benutzt etruskische Buchstaben und dürfte von den Rätern stammen. Man schätzt ihr Alter auf 2400 Jahre. Es sind rätselhafte Worte: Kastri Esi Etuni Mlapet. Sind es Personennamen? Frau Etuni, Herr Lavisi, Frau Mnesi … Drei verschiedene, „mehr oder weniger fantasiereiche“ (so Zettl) Übersetzungsversuche gab es. Dann legte Theo Vennemann seine Vaskonen-These an. Aus Kastri hörte er das alte Wort für Quelle/Brunnenstube, aus Esi kam dem Linguisten das alte Wort für Wasser entgegen. Etuni brachte er mit dem vaskonischen Begriff für trinken zusammen. So klingt aus der Inschrift ein magisch-heiliger Vers: „Gib Wasser, Quelle/ Wasser gib, Quelle/ Quelle gib Wasser.“ Das passt zu einem archaischen Hirten- und Bauernvolk.

    Vaskonische Namen bezogen sich auf die konkrete Topografie

    Einmal auf die Spur geraten fügte Zettl eins ums andere hinzu. Ihm erschlossen sich Fluss-, Flur- und Ortsnamen, die sich in vaskonischer Deutung vor allem auf die konkrete Topografie beziehen und deren Merkmale beschreibend aufgreifen. So leitet Zettl den Lech von der prähistorischen Wurzel lek ab, was geröll-, kies- und steinreich heiße, also ein Gewässer mit Geschiebe bezeichnet. Überall in Europa fand er dann Flussnamen mit lek – vom Lickle in Schottland über die Lesse in Belgien bis zur Leca in Portugal. Auch die oberbayerische Leitzach zählt er dazu. Ebenso ergiebig erwiesen sich die Sprachwurzeln is (Wasser) und aran (Tal), woraus u.a. die Isar wurde, aber auch das Ahrntal und der Arno. Zettl hat sich angewöhnt, Ortsnamen vergleichend zu betrachten. Darin sieht er den Vorteil: „Man bekommt nicht nur ein Gespür für einen einzelnen Namen, sondern für eine ganze Sprachschicht.“

    Seit dem Gymnasium ist Rupert Zettl auf alte Sprachen geeicht. Wie sei er doch „gezwiebelt“ worden in Latein, Griechisch und Hebräisch. Er gewann einen Blick für Systematik und er wühlte sich ins Thema hinein, las aber nicht nur Literatur, die in sein Schema passte. Nicht alle Wörter, das gesteht er zu, seien vaskonischen Ursprungs – Kuh, Schwein, Ziege entsprechen indogermanischen Ausdrücken. Doch die Grundströmung ist die prähistorische Hirtensprache, die in Europa auch früh einen sehr ausgedehnten Handel ermöglichte – mit Vieh, aber auch mit Kupfer aus den östlichen Regionen und Zinn aus dem englischen Cornwall. Beide Rohstoffe waren für die Bronzeproduktion unverzichtbar.

    Rupert Zettl: Ötzis Sprache? Studien zur prähistorischen Hirtensprache im vor- und inneralpinen Raum, context verlag 2020, 748 Seiten, 39,80 Euro.

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