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NS-Diktatur: Wie Täter selbst zu Opfern wurden

NS-Diktatur

Wie Täter selbst zu Opfern wurden

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    Opfer des Nationalsozialismus waren nicht immer nur Opfer. Josef Kämmerer zum Beispiel. Der Augsburger hatte sich lediglich konsequenter Unterhaltsverweigerung schuldig gemacht, wurde jedoch als „Berufsverbrecher“ in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen. Von dort kam er in das KZ Mauthausen bei Linz. Die SS ernannte den Häftling jedoch zum Lagerältesten. Das verhalf ihm zu einer besseren Unterkunft, mehr Verpflegung und Macht. Als sogenannter Funktionshäftling ertränkte er acht ihm unterstellte Mithäftlinge in einer Pfütze. Nach dem Krieg wurde er angeklagt und musste sich vor dem Landgericht Augsburg für insgesamt 24 während der KZ-Haft begangene Morde verantworten.

    Kämmerer ist ein Opfer der NS-Justiz, sagt der Augsburger Landgerichtspräsident Herbert Veh. Zwar selbst nicht unschuldig, aber dennoch. Im Annahof folgte er der Einladung der Erinnerungswerkstatt und referierte über „Unbequeme Opfer – die sogenannten Berufsverbrecher“. Veh ist überzeugt: „Kämmerer geriet für ein gewaltloses Delikt, nämlich die Verweigerung von Unterhaltszahlungen, in die NS-Kategorie Berufsverbrecher und war damit der Willkür von Justiz und Polizei ausgeliefert. Er war ein Opfer.“ Die Diskussion am Ende zeigt: Der Umgang mit diesen brutalen Schicksalen ist eines der schwierigsten Themen, mit dem sich die Erinnerungswerkstatt auseinandersetzen muss. Denn Mitgefühl wie für die NS-Opfer der Juden, der Sinti und Roma, für Homosexuelle oder Behinderte stellt sich bei einem wie Kämmerer nicht wirklich ein.

    Schnell drohte die Vorbeugehaft

    Dabei waren die NS-Gesetze schnell mit den Zuschreibungen „asozial“, „gemeinschaftsfremd“ und „arbeitsscheu“ bei der Hand. Ab 1937 drohte solchen Menschen unbefristete Vorbeugehaft. Ab 1933 konnten Gerichte gegen Berufsverbrecher, zu denen gehörte, wer drei Mal gestohlen oder gebettelt hatte, Sicherungsverwahrung anordnen. Als Begründung reichte eine Gefährdungsvermutung oder „Schädigung der Volksgemeinschaft“ aus. Bis Kriegsende verhängten Richter gegen 16000 Menschen Sicherungsverwahrung. Ab 1942 wurden diese Häftlinge der SS zur Vernichtung durch Arbeit überstellt.

    Veh hat im Archiv des Landgerichts 30 bis 40 Akten recherchiert. Auch Franz-Xaver Trost ist sowohl Opfer als auch Täter und stellt die Differenzierungskraft der Erinnerungskultur auf eine harte Probe. Franz-Xaver Trost war Krimineller, wurde wegen Raubes jedoch statt ins Gefängnis nach Kaufering, Außenlager des KZ Dachau, eingewiesen. Dort war er als Kapo Mitarbeiter der Lagerleitung – eine Position, die die SS oft bevorzugt mit Kriminellen besetzte. Vier Morde und seine brutalen Angriffe auf Mithäftlinge brachten ihn nach dem Krieg vor das Augsburger Landgericht. Dieses verurteilte ihn wie schon zuvor Josef Kämmerer zu lebenslänglich.

    Sind für diese beiden Erinnerungszeichen, Gedenken oder Stolpersteine denkbar? Nikolaus Hueck vom Sprecherrat der Erinnerungswerkstatt sagt: „Nein. Bei Mord ist eine Grenze überschritten. Dieser Menschen als Opfer zu gedenken, würde Überlebende zutiefst verletzen.“ Bei dem Augsburger Liberat Hotz, der wegen notorischen Diebstahls ebenfalls als Berufsverbrecher in die tödlichen Mühlen der NS-Justiz geriet, ließ die Initiative in der Lindenstraße 5 ein Erinnerungsband aufhängen. Dieser Fall sei anders, erklärt Herbert Veh. „Ja, er hatte mehrfach Opferstöcke ausgeraubt und war wohl ein Exhibitionist. Die Sicherungsverwahrung und die Ermordung in Auschwitz stehen jedoch in keinem Verhältnis zu diesen Straftaten“, so der Jurist.

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