Christof Trepesch, Leiter der Kunstsammlungen
„Ich lese aktuell Mason Currey: Musenküsse. Die täglichen Rituale berühmter Künstler (Zürich, Berlin 2014). Auf dem Cover steht: „Für mein kreatives Pensum gehe ich unter die Dusche“. Das Buch geht der Frage nach, wie Künstler ihren Tag gestalten, wie sie Kreativität mit Alltag verbinden. Beschrieben werden 88 Alltagsstrategien von Malern, Schriftstellern, Musikern, darunter Marcel Proust, Mozart, Thomas Mann und Andy Warhol. Köstlich und spannend.“
Thomas von Steinaecker, Schriftsteller
„Ich lese gerade Reise ins Innere der Stadt von Shaun Tan. Der Australier mit malaysischen Wurzeln wurde bislang dem Jugendliteraturgenre zugeordnet, was ihm Unrecht tut. So kann ich mir kein besseres Buch über das Thema der Auswanderung denken als seine wortlose Graphic Novel „Ein neues Land“ von 2006. Sein aktueller Erzählband versammelt 25 kurze Texte über wilde Tiere in der Großstadt, begleitet von fantastischen Öl-Bildern, irgendwo zwischen Dreamtime und Surrealismus. Und surrealistisch geht es auch in den Geschichten zu; etwa wenn sich Manager plötzlich in Frösche verwandeln oder das oberste Stockwerk eines Hochhauses von Krokodilen bewohnt wird. All das lässt sich als Parabel auf eine hektische, verschmutzte und verängstigte Gegenwart lesen - oder auch einfach nur als magischer Realismus. Ich wurde jedenfalls schon lange nicht mehr so verzaubert von einem Buch wie von diesem.“
Nicole Schneiderbauer, Hausregisseurin am Staatstheater
„Europe Central, Europe Central, Europe Central – seit einem dreiviertel Jahr lese ich gefühlt in nichts anderem. Der Roman des amerikanischen Autors William T. Vollmann ist ein Jahrhundertwerk, mit dessen Uraufführung am 12. Januar die Brechtbühne im Gaswerk eröffnet wird. Europe Central ist sprach- und bildgewaltig, manchmal etwas ausufernd, aber das dürfen und müssen besondere Bücher vielleicht auch sein. Es ist ein sinnlich-poetisches Tableau des 20. Jahrhunderts, das sich anhand von Künstler*innenbiografien wie der von Käthe Kollwitz, Anna Achmatowa und Dmitri Schostakowitsch in die Untiefen der beiden Systeme Stalinismus und Nationalsozialismus gräbt. Dabei geht es um Geschichte, um Kunst, um unsere kulturell-gesellschaftlichen Wurzeln und um die Frage nach Menschlichkeit in menschenverachtenden Systemen. Also Achtung! Suchtgefahr! Und ein Tipp: Beim ersten (und zweiten und dritten) Lesen dringend eine Enzyklopädie zur Hand haben.“
Bruno Weil, Dirigent
„Ich lese gerade Die Welt von gestern, die großartige Autobiografie Stefan Zweigs, in der er nach eigenen Worten auch das Schicksal einer Generation beschreibt. In dieser Welt von gestern hat Gustav Mahler 1901/02 seine monumentale 5. Sinfonie komponiert, die ich zur Zeit studiere und bald aufführen werde. Stolz berichtet Zweig, wie er als junger Mann in Wien Mahler auf der Straße begegnet ist. Der Zugang zu dieser äußerst schwierigen Sinfonie ( „Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand kapiert sie!“ – Worte von Mahler selbst), wird mir durch Zweigs Buch sehr erleichtert. So schildert er zum Beispiel auf eindringliche Weise die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, die Mahler in seiner Musik vorausgeahnt hat. Wilhelm Furtwängler nennt den 2. Satz der 5. Sinfonie: „Die erste nihilistische Musik des Abendlandes.“ Zweig nahm sich noch vor Veröffentlichung seiner Autobiographie 1942 das Leben.“
Manfred Lutzenberger, Leiter der Stadtbücherei
„In einer 6-bändigen autobiografischen Romanreihe beschreibt der norwegische Autor Karl Ove Knausgard schonungslos und in aller Offenheit sein Leben und sorgte damit für großes Aufsehen. Nachdem ich bisher begeistert drei Bände gelesen habe, bin ich nun beim Band 6 Kämpfen angelangt. Darin beschreibt Knausgard sein Familienleben mit seinen drei Kindern, die Konflikte bei der Veröffentlichung des ersten Bandes sowie die manisch-depressive Erkrankung seiner Ehefrau. Wie in den vorhergehenden Bänden passiert auch in diesem Buch nichts Spektakuläres, dennoch verschlingt man begierig die detailgetreuen Schilderungen von zum Teil banalen Vorgängen und Alltagserlebnissen. Als Leser kann man die alltäglichen Ängste, Konflikte und Hoffnungen des Autors gut nachvollziehen und lässt sich sehr flüssig lesen. Allein die essayistische Passage über verschiedene Schriftsteller und den Holocaust erfordern etwas Durchhaltevermögen. Einige der Vorgängerbände waren leichter zu lesen und sind Voraussetzung zum Verständnis dieses letzten Bandes.
Eva Thoma, Schlosser’sche Buchhandlung
„Ausgehend vom einzigen Kriegsverbrecherprozess im Tschetschenienkrieg 1995 erzählt uns die Autorin Nino Haratischwili in dem Roman Die Katze und der General eine atemberaubende und vielschichtige Geschichte, in deren Zentrum Nura, eine junge Tschetschenin, ein Opfer des Kriegsverbrechens, und Alexander, ein junger Russe, stehen – Opfer und Täter in einer zerrissnen Zeit.
Die Schriftstellerin entführt uns in die von unbarmherzigen Neokapitalismus geprägten Zeit nach Gorbatschow und entwickelt die Handlung von dort bis ins heutige Russland mit seinen immer stärker werdenden nationalistischen Tendenzen. Eine Vielzahl an Personen, die in die Geschichte von Nura und Alexander verstrickt sind, begleiten uns von 1995 bis heute. Dieses Buch zeigt, wie brüchig Frieden sein kann und fordert einen anderen Blick auf die ehemaligen GUS-Staaten.“