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Letzte Folge der Revolutionsserie: Die Revolutionäre in Haft, die Nazis im Kommen

Letzte Folge der Revolutionsserie

Die Revolutionäre in Haft, die Nazis im Kommen

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    Die Bildunterschrift hat schon jemand direkt auf das Foto geschrieben: Dieses Zeitdokument aus dem Jahr 1933 zeigt SA- und SS-Mitglieder, die am 9. März 1933 das Augsburger Rathaus besetzen.
    Die Bildunterschrift hat schon jemand direkt auf das Foto geschrieben: Dieses Zeitdokument aus dem Jahr 1933 zeigt SA- und SS-Mitglieder, die am 9. März 1933 das Augsburger Rathaus besetzen. Foto: Stadtarchiv Augsburg

    Ende Juni 1919 wird dem früheren Vorsitzenden des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrats Ernst Niekisch in München der Prozess gemacht. Im Mittelpunkt steht dabei seine Rolle bei der Ausrufung der bayerischen Räterepublik in

    In der Folgezeit hält sich Niekisch wiederholt in Augsburg auf und unterstützt dort auch die Rücknahme der Räterepublik am 13. April 1919. Nach dem Einmarsch der Regierungstruppen in

    Ernst Niekisch wird angeklagt

    Bereits am 25. April 1919 hatte er in einem Brief an den Augsburger USPD-Vorsitzenden Matthias Rauch seinen Übertritt von der MSPD in die USPD erklärt: „Ich bin Anhänger des Rätesystems. Indes hat sich die Mehrheitspartei jetzt endgültig gegen die Räte festgelegt und die Sache der Gegenrevolution zu ihrer eigenen gemacht. Infolgedessen habe ich nichts mehr mit dieser Partei zu schaffen, ich trete aus ihr aus und bitte, mich als Mitglied der Unabhängigen Partei einzuzeichnen.“

    Diese Tatsache und seine Weigerung, sich aus dem politischen Leben zurückzuziehen, führen dazu, dass der bayerische Ministerpräsident Johannes Hoffmann von der MSPD ein inoffizielles Angebot zurücknimmt, Niekisch vor Strafverfolgung zu bewahren. Vier Tage vor Verhandlungsbeginn wird Niekisch zu seiner eigenen Überraschung gegen Hinterlegung einer Kaution auf freiem Fuß gesetzt.

    Zunächst bleibt er auf freiem Fuß

    Vorsitzender Richter der Verhandlung vor dem Standgericht in München ist Dr. Stadelmeier, der kurze Zeit zuvor den kommunistischen Räterepublikaner Eugen Leviné zum Tode verurteilt hat. Das nährt bei Niekisch die Befürchtungen vor einem harten Urteil. Der Staatsanwalt beantragt denn auch zehn Jahre Festungshaft, doch lautet das Urteil zur Erleichterung von Niekisch „nur“ auf zwei Jahre Festungshaft wegen „Beihilfe zum Hochverrat“. Darüber hinaus bleibt Niekisch zunächst auf freiem Fuß.

    Niekisch engagiert sich verstärkt kommunalpolitisch, bei der Stadtratswahl am 15. Juni 1919 war er als Bürgermeisterkandidat für die USPD angetreten und erhielt dabei etwa 15 Prozent der Stimmen, zusammen mit sechs weiteren USPD-Vertretern, darunter auch einer Frau, wird er in den Stadtrat gewählt, wo die USPD in Opposition nicht nur zu den bürgerlichen Parteien, insbesondere der BVP steht, die mit 42 Prozent der Stimmen stärkste Partei geworden ist, sondern auch in scharfer Opposition zur MSPD, die nur auf knapp 28 Prozent der Stimmen kommt gegenüber 46 Prozent im Januar 1919.

    Die MSPD verliert über die Hälfte der Stimmen

    Für die MSPD stellt die Stadtratswahl eine politische Katastrophe dar: Sie verliert gegenüber den Landtags- und Reichstagswahlen im Januar mehr als die Hälfte der Stimmen. Die Stimmen gehen aber nur zum Teil an die radikalere USPD, ein größerer Teil der ehemaligen MSPD-WählerInnen bleibt wohl zu Hause, zumal die Wahlbeteiligung von 85 Prozent auf knapp über 60 Prozent sinkt. Hintergrund dürfte vor allem die Enttäuschung über das Verhalten der MSPD-Parteifunktionäre beim Einmarsch der Regierungstruppen sein, als sie sich bedingungslos an die Seite der Truppen und der bayerischen Landesregierung stellten und „landfremde“ sowie junge, „nicht-organisierte“ Kräfte für das Blutbad verantwortlich machten.

    Dabei hatte die Augsburger MSPD für die Bürgermeisterwahl mit dem Rechtsanwalt Friedrich Ackermann aus der linksrheinischen Pfalz extra einen auswärtigen Kandidaten aufgestellt, der „mit seinen Erfahrungen einen frischen Zug in die Augsburger Stadtverwaltung“ bringen sollte. Trotz der verheerenden Niederlage wird

    Die Gefangenen werden drangsaliert

    Als Niekisch weiter öffentlich auftritt und dabei vor allem auch die MSPD scharf angreift, wird er im Juli 1919 wegen „Fluchtverdachts“ verhaftet und zunächst in die Festungshaftanstalt Ebrach gebracht. Im Februar 1920 wird er dann in die Festungshaftanstalt Niederschönenfeld bei Rain am Lech verlegt, wo er auf Augsburger Räterepublikaner, so etwa Wilhelm Olschewski, ebenso trifft wie auf die Münchner Räterepublikaner Erich Mühsam und Ernst Toller.

    Die Festungsgefangenen werden in Niederschönenfeld durch eine enge Auslegung der Vorschriften und willkürliche Maßnahmen wie Besuchs- und Schreibverbot drangsaliert und auch gegeneinander ausgespielt. Eine unrühmliche Rolle spielt dabei ab Mai 1921 der Augsburger Staatsanwalt Dr. Kraus, der vom DNVP-Justizminister Roth zum Anstaltsleiter ernannt wird. Niekisch beschwert sich – ebenso wie Mühsam und Toller – wiederholt über die Haftbedingungen, allerdings ohne Erfolg.

    Niekisch kehrt Bayern den Rücken und trifft später Brecht

    Noch während seiner Haftzeit wird Niekisch für die USPD in den bayerischen Landtag gewählt, unmittelbar nach seiner Freilassung im August 1921 übernimmt Niekisch den Vorsitz der USPD-Fraktion im Landtag und prangert dort erneut die Haftbedingungen der politischen Häftlinge an. Nach der Auflösung der USPD tritt er nicht der KPD bei, sondern der MSPD. 1923 kehrt er aber Bayern den Rücken, eine Zeit lang arbeitet er für den Deutschen Textilarbeiterverband als Redakteur. Doch wird er politisch zunehmend heimatlos.

    Seine von ihm gegründete Bewegung „Widerstand“ richtet sich gegen den Marxismus-Leninismus ebenso wie gegen den Versailler Vertrag, Niekisch entwickelt eine Art linken Nationalismus. Nach der Machtübernahme Hitlers, vor dem er vergeblich gewarnt hat, wird Niekisch im März 1937 verhaftet und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die er im Zuchthaus Brandenburg-Görden verbüßt. Nach der Befreiung durch die Rote Armee entscheidet er sich für den Ostteil Deutschlands und tritt der SED bei, nach 1949 ist er sogar zeitweilig Abgeordneter der DDR-Volkskammer, ohne aber über das System glücklich zu sein.

    1950 trifft Niekisch im DDR-Ostseebad Ahrenshoop Bertolt Brecht, der sich – zur Verwunderung von Niekisch – nahezu euphorisch zur Bayerischen Räterepublik äußert: Diese sei „eines der wichtigsten geschichtlichen Geschehnisse des Jahrhunderts gewesen. Hier habe sich eine große, für Deutschland notwendige Revolution angekündigt.“

    Die Nazis inszenieren die Machtübernahme

    Doch zurück nach Augsburg: Hier bestimmen die beiden Bürgermeister Kaspar Deutschenbaur und Friedrich Ackermann bis zum Ausscheiden Deutschenbaurs Ende 1929 das kommunale Geschehen. Nachfolger Deutschenbaurs wird Otto Bohl von der BVP.

    Doch als die Nationalsozialisten auch auf kommunaler Ebene die Macht übernehmen, wird erst Friedrich Ackermann, dann auch Otto Bohl abgesetzt. Die Nationalsozialisten um den Gauleiter Karl Wahl inszenieren die Machtübernahme explizit als Austilgung der Schande von 1918/19: Wie seinerzeit der Arbeiter- und Soldatenrat nehmen sie am Morgen des 9. März 1933 Besitz vom Rathaus und hissen die Hakenkreuzfahne: In einer Erklärung heißt es:

    Nationalsozialisten verbrennen 1933 schwarz-rot-goldene Fahnen vor dem Siegesdenkmal im Fronhof.
    Nationalsozialisten verbrennen 1933 schwarz-rot-goldene Fahnen vor dem Siegesdenkmal im Fronhof. Foto: Stadtarchiv Augsburg

    „Augsburg ist frei! Als erste Stadt Bayerns hat es die nationalsozialistische Revolution durchgeführt, ohne Gewaltakt, ohne Blutvergießen! Indem Augsburg so den Anstoß zur nationalsozialistischen Revolution in Bayern gibt, macht es gut, was es 14 Jahre früher an erster Stelle beigetragen hat zur Errichtung der hochverräterischen Rätediktatur in Bayern. Die Schande des 7. April 1919 ist restlos ausgelöscht! Augsburgs Ehre ist wieder gewonnen!“

    Die Jagd auf die Gegner beginnt

    Gleichzeitig beginnt die Jagd auf die politischen Gegner, die festgenommen, oft misshandelt und in das neu gegründete Konzentrationslager Dachau gebracht werden. Zu den Verfolgten zählen nicht nur Kommunisten wie Hans Beimler und Leonhard Hausmann, sondern auch Sozialdemokraten wie Karl Wernthaler und Clemens Högg, die 1919 die Räterepublik abgelehnt und in der Folgezeit die Kommunisten bekämpft hatten. Die schwarz-rot-goldenen Fahnen der Republik werden am Siegesdenkmal beim Dom verbrannt. Die Reaktion hat endgültig gesiegt. Die Erinnerung an die Revolution von 1918/19 wird mehr oder weniger aus dem Stadtgedächtnis gelöscht.

    Ziel dieser Artikelserie war es daher auch, die Erinnerung an den Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrats Ernst Niekisch, der Gewalt ablehnte, an den Vermittler Hans Frank, der dabei ums Leben kam, an die kämpferische Revolutionärin Lilly Prem und an all die zivilen Opfer beim Einmarsch der Regierungstruppen wiederzubeleben.

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