Wenn ein Quartier in dieser Stadt beanspruchen darf, Mozart-gesättigt zu sein, dann ist es jenes hinterm Dom. Leopolds Geburtshaus in der Frauentorstraße, seine Schulstätte in der Jesuitengasse, und dann auch noch die Taufkirche in der Georgenstraße. Wie passend, dass eben hier, in St. Georg, jenes Mozartfest-Konzert stattfand, dessen Programm ausschließlich Leopold vorbehalten ist. Und wie schön, dass einer Veranstaltung, die den Vater einmal ohne die Stütze des um so viel berühmteren Sohnes belässt, ein volles Haus beschieden ist.
Manches hat sogar das Zeug zum Ohrwurm
Die Bayerische Kammerphilharmonie unter Alessandro De Marchi (am Cembalo) eröffnet den Abend mit einer Sinfonie in A-Dur (LMV VII:A1), deren Stimmen sich in Augsburg erhalten haben. Typische Leopold-Orchestermusik, frisch in der Themensetzung, im weiteren Verlauf aber auch ein wenig vorhersehbar. Wie anders dann das zweite Werk dieses Konzerts, die Missa solemnis in C-Dur (LMV I:C2)! Eine kompositorisch gelungene Mischung aus andachtsvollem Ernst, reflektierender Gestimmtheit und nicht zuletzt dramatischer Bewegung, für die zusammen der Komponist immer wieder höchst individuelle Lösungen findet: etwa den außergewöhnlichen Klangeffekt gedämpfter Trompeten und gedämpfter Pauke im Crucifixus; oder die Bildhaftigkeit der jubelnd aufsteigenden Tenor-Koloratur im Resurrexit. In den Chornummern vor allem ist diese Messmusik schlicht mitreißend, ja manch eine von Leopolds Findungen hat sogar das Zeug zum Ohrwurm wie die sanft fallende Melodie des Laudamus. Ein bewegendes Werk jedenfalls, das den Komponisten Leopold Mozart in günstigstem Licht erstrahlen lässt.
Zuletzt war die Messe beim Mozartfest vor sieben Jahren unter Bruno Weil zu hören, schon da hatte sie Eindruck gemacht. Jetzt leitet Alessandro De Marchi die Aufführung, ebenfalls ein mit historischer Musizierpraxis höchst beschlagener Dirigent, der 2017 schon einmal bei einem Haydn-Singspiel erfolgreich mit der Bayerischen Kammerphilharmonie zusammengearbeitet hat. Der italienische Dirigent jedenfalls versteht das die Messe ausrichtende „Feierlichkeits“-Attribut nicht als Aufforderung zu schwerblütiger Sakralrhetorik, sondern akzentuiert das Aufklärerisch-Helle von Leopolds Musik. Phasenweise gibt er ihr sogar einen guten Schuss Weltlichkeit, einen Anklang von Oper mit. Das geschieht bevorzugt bei den Verzierungen, die De Marchi an musikalischen Haltepunkten die Solisten singen lässt: virtuose, sich insbesondere beim Sopran hoch aufschraubende Vokalgirlanden. Arianna Venditelli meistert diese Exaltationen mit Bravour, aber auch die weiteren Solisten sind mit Sophie Rennert, Patrick Grahl und Ludwig Mittelhammer vorzüglich besetzt.
Die Bayerische Kammerphilharmonie ist eine sichere Bank
Dass Leopolds Missa so aufregend gelingt, ist aber auch maßgeblich das Verdienst des Ensembles Vokalprojekt, eines Zusammenschlusses von zwei Dutzend jungen Sängerinnen und Sängern. Der Chor tritt ebenso agil wie druckvoll in Erscheinung, Eigenschaften, die maßgeblich den erhebenden Charakter von Abschnitten wie dem Credo oder der Cum-sancto-spirito-Fuge bestimmen. Eine sichere Bank ist schließlich die Bayerische Kammerphilharmonie, die durch kontinuierliche Werkpflege inzwischen als Leopold-Mozart-Expertin gelten darf – spritzig im Zugriff, flexibel im Ausdruck. Diesmal glänzt das Orchester auch solistisch, an Geige, Flöte und Trompete.
Alessandro De Marchi, die Kammerphilharmonie, das Vokalprojekt: Eine reichlich applaudierte Kombination, der man gerne wieder einmal bei einem Mozartfest begegnen würde – vielleicht sogar mit der ersten von Leopold vollständig erhalten gebliebenen C-Dur-Messen? Ansonsten durchaus auch mal mit einem Werk aus dem Köchel-Verzeichnis.