Etwas anarchisch ist die Kunst von Stefanie Kraut ja. 2013 schob sie kurzerhand die Tür einer leer stehenden Glasvitrine am Schmiedberg auf, nahm Miniaturgeschirr mit und stellte sich, auf einem Kissen sitzend, einen Tag lang selber aus. „Public housing“, den Körper in Beziehung zur Stadt setzen, so nennt sie das. Ein anderes Mal kartierte die Künstlerin die Stadt und vermaß in einer spontanen Intervention 2013 das Augsburger Rathaus. Mit ausgebreiteten Armen sah man sie an einem Tag die Hauptwand messen: 26,5 Kraut-Ellen. Keine Kunst, die man von einer klassisch ausgebildeten Künstlerin erwartet, die in Nürnberg und Dresden neun Jahre lang Bildhauerei studiert hat. „Naja, davon, Aktmodelle zu formen, habe ich mich schon lange entfernt“, sagt die 46-Jährige und lacht.
Kunst mit Schablonen und Sprühkreide am Gaswerk-Areal
Ein radikal räumliches Denken und Empfinden, wie es für die Herstellung von Skulpturen notwendig ist, zeichnet ihre Projekte weiter aus. Auch ihr neuestes. Auf dem Gaswerksgelände, wo sie ihr Atelier betreibt, durchstreifte sie das weitläufige, von Industriebrachen und Baustellen geprägte Areal und fotografierte Orte. „Mich interessierten Stellen, die Brüche haben“, sagt sie. Sie fand die rostige Tür zum Teleskopscheibenbehälter, den Fahrradabstellplatz vor dem neuen Parkhaus, die Nische im Portal der früheren Werkseinfahrt und die Außenmauer entlang des Geländes. Überall hier brachte sie mit Schablonen und Sprühkreide ermunternde, manchmal auch absurde Botschaften in weißer Schrift an und machte die Orte damit zur Kunstbühne.
Die Botschaft auf der rostigen Wand des Teleskopscheibenbehälters schlägt vor, in das unheimliche Dunkel dieser riesigen runden Halle Dinge zu rufen, für die es zu spät ist. „Das ist eine Handlungsanweisung, die Empfindungen hervorruft. Einmal, weil es so schön hallt da drin. Aber wie auf dem Gelände hier gibt es im Leben immer Dinge, die verschwinden und woanders wieder auftauchen, das sind die Transformationen unserer Welt“, erläutert sie. Von Esoterik ist da rein gar nichts, die zweifache Mutter erklärt ganz nüchtern, um was es ihr geht.
Stefanie Kraut verbindet Kunst mit körperlicher Erfahrung
Am Haupteingang hat sie eine abgeteilte Nische gefunden, die mit ihrem in Ocker gestrichenen Rundbogen und dem versenkten runden Oberlicht Kapellenatmosphäre atmet. Der Ort fasziniert durch seine warme Kargheit. Die Künstlerin sprühte: „Denke an deine Urgroßmutter und lächle ihr zu.“ Der Spruch springt den Besucher förmlich an, wenn er durch das Werkstor geht. Ein Vorschlag, durch das Lächeln Vergangenheit und Geschichte körperlich zu erspüren. „Meine Arbeiten haben immer etwas mit der Aneignung von Stadt, mit Materialeinsatz und körperlicher Erfahrung zu tun“, so die Künstlerin, die auch Dozentin an der Hochschule Augsburg ist. Für ihre Aufgabenstellungen an die Studierenden dort, so erklärt sie, provoziere sie ebenfalls Brüche und Überraschungen. „Ich möchte, dass die Studenten ihr Denken entgrenzen und sich von antrainierten Vorstellungen lösen. Erst dann sind Intensität und Kreativität möglich.“
Beim Radständer gegenüber dem Haupteingang zum Ofenhaus steht: „Steig auf dein Fahrrad. Fahre so lange im Kreis, bis du eine Spur hinterlässt.“ Nicht gerade das, was einen als Fahrradfahrer antreibt, wenn man in die Pedale tritt. Aber als Gedankenanstoß für kurze Zeit auf dem ganzen Beton des Parkhauses verewigt genial. Einfach mal loslassen.
Die Arbeiten von Stefanie Kraut ist Teil des aktuellen „Open Parcours Gaswerk“, eines sukzessive entstehenden Kunstrundgangs, organisiert von der a3kultur-Redaktion. Hier geht's zum digitalen Rundgang.
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