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Jüdische Kultur: Gibt es Frauenverachtung im Judentum?

Jüdische Kultur

Gibt es Frauenverachtung im Judentum?

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    Innenraum der Synagoge von Augsburg
    Innenraum der Synagoge von Augsburg Foto: Bernhard Weizenegger

    Mit der Frau haben die drei großen Religionen ihre Not. Apostel Paulus empfiehlt keusches Schweigen, der Koran rät, sie wie den eigenen Acker zu behandeln. Und im Judentum? Auch hier steht es – schaut man auf die Liturgie – mit dem Frauenbild nicht zum Besten. 1600 Jahre war ein Gebet für Männer Pflicht: Täglich sollten sie Gott danken, dass „er mich als Israeliten und nicht als Frau und Unwissenden geschaffen hat“. Erste Belege für die Existenz dieses Segensspruchs finden sich als mündliche Überlieferungen aus dem dritten Jahrhundert, in der orthodoxen

    Jüdische Frauen danken Gott, dass er sie nach seinem Willen geschaffen hat

    „Damals galt der Text aber noch nicht als autoritativ“, erklärt Birgit Klein, Rabbinerin und Professorin für jüdische Studien in Heidelberg, die auf Einladung des Jüdischen Museums und des Evangelischen Forums Annahof zum Vorwurf der Frauenverachtung im Judentum referierte. Erste Gebetbücher mit diesem Spruch sind erst aus der Spätantike bekannt. Im babylonischen Talmud, dessen Fixierung im achten Jahrhundert abgeschlossen wurde, ist er allerdings bereits enthalten. Auch Frauen schreibt dieser das Gebet obligatorisch vor, allerdings danken sie Gott, dass er sie „nach seinem Willen geschaffen“ habe.

    Jüdische Frauen späterer Jahrhunderte hatten ihren eigenen Umgang mit diesem Männerspruch. Im 15. Jahrhundert tauchten sogar Gebetsbücher auf, in denen frau ironisch dankte, nicht als Mann geboren zu sein. Zum Christentum konvertierte Juden übersetzten ab dem 16. Jahrhundert hebräische Liturgietexte ins Deutsche, machten auch dieses Gebet bekannt und befeuerten so in der christlichen Mehrheitsgesellschaft die immer feindseligere Debatte. Polemiken kamen von Victor von Carben (1422-1515), den der Kaiser ernannt hatte, jüdische Schriften auf Blasphemie zu untersuchen. „Frauen, so interpretierte Carben, gehörten im Judentum eben nicht zum Bund der Beschnittenen, seien also nicht fürs ewige Leben bestimmt und minderwertig“, erläutert Birgit Klein. Carbens Fazit: Das Judentum sei frauenverachtend. Auch der Nürnberger „Enthüllungsautor“ jüdischer Gotteslästerung und Frauenfeindlichkeit, Antonius Margaritha (1492-1542), war ein Konvertit. Als Erstübersetzer des jüdischen Gebetsbuches ins Deutsche machte er den angeblichen Chauvinismus bekannt. Seine eigene Verachtung des Judentums, so Klein, baute er gleich mit ein. Es war seine Grundsatzliteratur, bei der sich auch Martin Luther für seine Hetzschrift „Von den Juden und ihren Lügen“ bediente.

    Liturgie ist nicht in Stein gemeißelt

    Immer in dem Dilemma, christlichen Antisemitismus zu bedienen, der sich im Schlepp des Nationalismus in immer neuen Pogromen zeigte, schaffte die Aufklärung neuen Wind in innerjüdischen Diskursen. Abraham Geiger, Gründer der ersten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, kritisierte 1837 das verkrustete jüdische Frauenbild derart, dass er sich von Kollegen wiederum den Vorwurf der Blasphemie anhören musste. Die Rabbinerversammlung des Reformjudentums von 1846 beendete das Hin und Her, strich das Männergebet und ersetzte es für beide Geschlechter durch den Dank, „dass er mich zu seinem Dienst erschaffen hat“.

    Und Birgit Klein selbst? Auch sie verwendet in ihrer Heidelberger Gemeinde die positiv formulierte Version, die im liberalen, aber auch bei manchen Rabbinern des orthodoxen Judentums akzeptiert ist: „Der du mich zu deinem Ebenbild geschaffen hast.“ Die Geschichte der rabbinischen Tradition habe gezeigt, dass Liturgie nicht in Stein gemeißelt sei. „Änderungen sind möglich. Und das umstrittene Gebet ist in dieser Form doch ein guter Start in den Tag“, so die Rabbinerin.

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