Waren seine Patienten bloß solche, „die an Verzärtelung und eingebildeten Krankheiten sich behandeln lassen“? Kritische Zeitgenossen, die ihm den Erfolg neideten, ließen kein gutes Haar am Wörishofener „Wasserdoktor“ Sebastian Kneipp. So allgemein gesprochen können sie jedoch schon deshalb nicht recht gehabt haben, weil der kernige schwäbische Pfarrer für seine deftigen Sprüche bekannt war. Einem Gichtkranken sagte er durchaus ins Gesicht, dessen Leiden kämen nur vom Schlemmen und Saufen. „Er war ein genialer Diagnostiker, der mit intuitiver Einfühlung die Krankheiten seiner Patienten erkannte“, sagt der Historiker Karl Pörnbacher.
Sebastian Kneipps 200. Geburtstag mit Tagung gewürdigt
Sein Lebensbild von Sebastian Kneipp eröffnete eine Tagung des Akademischen Forums der Diözese zum 200. Geburtstag des Priesters und Gesundheitsreformers. Online hörten ihr über 90 Teilnehmer zu. Ein nüchterner Typ sei Kneipp gewesen, kein bisschen wundersüchtig oder geltungsbedürftig, so Pörnbacher. Wahrscheinlich hat er nie seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen vergessen.
Sein Vater war ein Hausweber und Landwirt, mit elf Jahren musste der Bub am Webstuhl mitarbeiten. Als fünftes Kind wurde Sebastian am 17. Mai 1821 in Stephansried bei Ottobeuren geboren. Klug und vielseitig interessiert sei sein Vater gewesen und in Sebastian erwachte früh der Wunsch, Priester zu werden. Doch mühsam musste er sich seine Bildung verdienen, erst mit 27 hatte er das Abitur abgelegt.
Mehrmals in der Woche badete er in der eiskalten Donau
Danach ging es schnell bis zur Priesterweihe 1852, obwohl Kneipp an der Lunge litt. Zufällig stieß er auf das Buch „Unterricht von Kraft und Wirkung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen“, das ihn zur Wasserkur inspirierte. Jede Woche badete Kneipp mehrmals in der eiskalten Donau bei Dillingen und wurde gesund. Sein Wissen wendete er auch an anderen an, was ihm 1853 eine Anzeige wegen Kurpfuscherei eintrug.
Zur vollen Entfaltung sollte seine Naturheilkunde ab 1855 in Wörishofen gelangen. Als Hausgeistlicher der Dominikanerinnen praktizierte er mehr und mehr die Kaltwasser-Anwendungen, ein Kurbetrieb entwickelte sich, bis Kneipp weit über 100 Patienten behandelte und Ärzte in seiner Heilanstalt hospitieren ließ. Darüber vergaß er nicht die gewissenhafte Seelsorge im Ort und übte sich in Mildtätigkeit. „Er verschenkte in seinem Leben insgesamt eine Million Mark, bedürftige Personen behandelte er grundsätzlich umsonst“, erklärte Pörnbacher.
Selbst Papst Leo XIII. wurde auf ihn aufmerksam und bat ihn zur Privataudienz. „S’Herrle könnt leicht noch zehn Jahre leben“, soll Kneipp dem betagten Pontifex zugesagt haben, der tatsächlich erst 1903 mit 92 starb. Kneipp verließ bereits am 17. Juni 1897 die Welt und hinterließ ihr den Merksatz: „Lernt das Wasser richtig kennen und es wird euch stets ein verlässlicher Freund sein.“
Sebastian Kneipps Wassertherapie hat heute mehr als 120 Anwendungen
Davon ist Cordula von der Ropp, die leitende Ärztin am Bad Wörishofener Sebastianeum, überzeugt. Sie erlebe seit über zwölf Jahren die Wirkung der Kneippmedizin, berichtete sie bei der Tagung. Mehr als 120 verschiedene Anwendungen der Wassertherapie seien gebräuchlich, wobei Sebastian Kneipp seine Naturheilkunde auf fünf Säulen aufgebaut hat: das Wasser, die Temperatur, die Heilkraft der Kräuter und einer gesunden Ernährung, die richtige Bewegung und die innere Ordnung. Damit lassen sich zahlreiche chronische Erkrankungen des Körpers therapieren, aber auch die Schwermut, die mit Ängsten, Kraftlosigkeit und Berufsunfähigkeit einhergeht.
Die Fachärztin praktiziert heute auch moderne Verfahren wie Atemgymnastik, Muskeltiefenentspannung und Psychotherapie. Zugrunde liegen aber noch immer die Lehren von Pfarrer Kneipp, um den Körper und die Seele ins Gleichgewicht zu bringen.
Kneipp bediente sich Wissen, das seinen Ursprung in der Antike hat
Der schwäbische Pfarrer griff – wahrscheinlich ohne es zu wissen – auf ein Wissen zurück, das seine Ursprünge schon in der Antike hat und im oströmischen Reich weiter tradiert worden ist. Darauf verwies die Münchner Orientwissenschaftlerin Isabel Grimm-Stadelmann. Sie hat sich auf die byzantinische Medizin spezialisiert und leitet bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ein Projekt zur byzantinischen Burnouttherapie. „Das Beste aber ist das Wasser“, wusste schon im fünften Jahrhundert vor Christus der griechische Dichter Pindar.
Es passte zur Lehre von den vier Körpersäften, die mit Badekuren in Ausgleich gebracht wurden. Byzanz entwickelte diese Medizin weiter, koppelte sie mit Erfahrungswerten, professionellen Rezeptbüchern und klinischer Ausrichtung. „Es ist eine ganz modern anmutende alternative Heilkunde“, sagte Grimm-Stadelmann. „Dynameron“ nannten die Griechen die Lehre – frei übersetzt heißt das „Kräftigung“.
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