Diese schutzlose Nacktheit mit blutenden Wunden. Diese Drehung im rechten Arm, zugleich abwehrend und zugewendet. Dazu der zur Seite geneigte Kopf, die Haare fallen strähnig herab, der erschöpfte Blick geht über die Schulter, allerdings zielt er merkwürdig ins Leere oder vielmehr ins Innere. Unter der Körpermitte tarieren Standbein und Spielbein das Gleichgewicht aus. Ein wiegender Schritt deutet sich an.
Dies ist kein gebrochener Mann, auch wenn er deutlich die Spuren schmerzhafter Misshandlung an sich trägt. Es ist aber auch kein trotzig aufbegehrender Mann, der, seine Folterung anklagend, seine Wunden der Öffentlichkeit präsentiert. Wohl heischt die Figur des gefesselten und mit Dornen gekrönten Mannes Mitgefühl. Doch in ihr steckt Stärke, Würde, Majestät. So kraftvoll tritt keiner auf, der sich als Opfer in sein Schicksal begibt. So gefestigt ist einer, der sein Leiden in innerer Freiheit auf sich nimmt um eines höheren Zieles willen.
Über Jahre beschäftigt ihn die Gestalt des Erlösers
Im Dom im neuen Tabernakelaltar steht diese frühbarocke Skulptur des Geißelheilands, den Pontius Pilatus dem wütenden Mob draußen vor seinem Statthalterpalast in Jerusalem vorführen wird: Ecce Homo – Seht den Menschen! Der Bildhauer Georg Petel hat die lebensgroße Figur aus Lindenholz geschnitzt, um 1630 zunächst für die Magdalenenkirche der Dominikanerinnen. Über Jahre wird Petel die Gestalt des göttlichen Erlösers beschäftigen, der um der gefallenen Menschheit wegen in Menschennatur litt, um den Bann der Sünde und Schuldverstrickung zu lösen. An seiner Wirkungsstätte in Augsburg hinterließ Petel dazu außerordentliche Kunstwerke.
Bei den Besten seiner Zeit hatte der bayerische Bildhauer Petel (1601/02–1634) sein Handwerk gelernt. Zuerst in seiner Geburtsstadt Weilheim in den Werkstätten Degler und Steinle, dann in München bei Hans Krumpper und Christoph Angermair. Er zog aus nach Italien bis Rom zu Michelangelo und Bernini, arbeitete als Elfenbeinschnitzer in Paris. Bei Peter Paul Rubens in Antwerpen empfing er die entscheidenden künstlerischen Impulse. Dort lernte er den Menschen als ein Wesen von Fleisch und Blut zu sehen. Und als eine unverwechselbare, individuelle Persönlichkeit.
Eine Anspannung und Stärke ist im Körper zu spüren
Das galt vor allem auch für seine Ausarbeitung des Christus-Themas. Ein wahrer Mensch erscheint in Petels Skulpturen. In direkter Fortsetzung des Geißelheilands entstand im Jahr 1631 ein Gekreuzigter für das städtische Heilig-Geist-Spital am Roten Tor, der sich als Leihgabe jetzt in der Barfüßerkirche befindet. Wiederum handelt es sich um einen muskulösen Männerkörper. Er hat den Todeskampf schon überstanden, das Haupt neigt sich zur Brust, der mit der Lanze eröffneten Herzwunde entspringen nur noch wässrig-blutige Schlieren. Dennoch ist eine gewisse Anspannung und Stärke in diesem Körper zu spüren, er ist keine leere Hülle. Das Lendentuch wird vielfach gefältelt vom Wind gebauscht und umhüllt doch fest die Hüften. Wollte Petel darin das unzerstörbare Leben des Gottessohnes andeuten, der im Vertrauen auf sein Auferstehen stirbt?
Dieses verwirklichlichte er in seiner Figur des Christus Salvator für St. Moritz. In der von John Pawson als weißer, lichtgefluteter Raum umgestalteten Kirche bildet dieser Christus den Zielpunkt einer zentralen Sichtachse. Er verkörpert einerseits die Hoffnung des Glaubenden und stürmt andererseits den Seinen mit segnendem Gestus entgegen. Der rechte Fuß ist vorgesetzt, der Oberkörper und das Haupt neigen sich nach vorne, die rechte Hand ist ausgereckt, die Linke ebenfalls zur empfangenden Geste ausgestellt. Das üppige Obergewand flattert in einem fiktiven Luftzug nach hinten. Alles ist Dynamik an dieser Skulptur, alles befindet sich in Bewegung.
Erstaunlich sind die geschlossenen Augen
Vergoldet leuchten sein Gewand und der Leibrock, auch wenn inzwischen viel von der originalen Farbfassung abgeblättert ist. Ein blaues Futter schimmert im Ärmel, ein rotes unter dem Überwurf hervor. Das Erstaunliche an dieser Skulptur sind allerdings die geschlossenen Augen; dieser langgelockte und bärtige Mann ist eigenartig in sich gekehrt.
Georg Petel habe hier ein neues Christusbild geprägt, das in seiner Erscheinung und Ausdrucksweise von der heroischen Christus-Auffassung bei Rubens bestimmt sei, sagen Kunsthistoriker. Die segnend erhobene Rechte wirkt wie die Hoheitsgebärde römischer Imperatoren, verstärkt wird sie durch das Ausschreiten der Figur. Dieser Christus ist nicht mehr von dieser Welt, er stürmt einladend aus einem anderen Herrschaftsbereich heran. Allerdings bei aller, Leid und Tod überwindender Verklärung weiterhin in der Gestalt des Menschen.
Voll unschuldiger Natürlichkeit
Eingetreten war er in die Welt ja als ein Kind, geboren im ärmlichen Stall zu Bethlehem, jedoch in seiner königlichen Würde von weit gereisten Weisen gehuldigt. Beide Gedanken fasste Georg Petel in dem segnenden Christuskind zusammen, das in der Barfüßerkirche bei der Kanzel auf einem Wandsockel steht. Er modellierte einen quicklebendigen Knaben, der leichtfüßig in die Welt schreitet. Er ist fast vollständig nackt, ein wohlgeformter Körper voll unschuldiger Natürlichkeit.
Ins Gesicht hat der Bildhauer ihm eine unbekümmerte Offenheit und vergnügte Stimmung eingeschrieben. Es ist kein verspieltes Kind, sondern ein königlicher Herrscher. Ein purpurrotes, gefälteltes Tuch umspielt seine Hüfte und hängt im Rücken bis zum Boden herab. Die Rechte hat dieses Christkind mit einer Segensgeste nach oben gereckt, die Linke trägt seit 1750 eine Weltkugel, worin zunächst ein Kreuz lag.
Ein kompaktes Heft aus dem Kunstverlag Josef Fink, das 2017 erschienen ist, stellt die Skulpturen Georg Petels in den Augsburger Kirchen vor.