Mies begann er, der Tag von Tim Allhoff. Zum Frühstück gab es die Nachricht, dass sein Bassist Andreas Kurz von Schüttelfrost ans Bett gefesselt wird. Dass das Heimspiel im Jazzclub dann doch nicht ins Wasser fiel, lag einmal an der Zuversicht Allhoffs, jemanden zu finden, der seine komplexen Kompositionen eben mal so aus dem Stand spielen kann; zum anderen an genau dieser Fähigkeit, die dann Bassallrounder Christian Diener mitbrachte, der es beim Auftritt – wie es so schön heißt – nagelte. Aber der Reihe nach.
Allhoff pflegt skandinavische Zurückhaltung
Tim Allhoff hat seine eigene musikalische Sprache entwickelt, die er mit seiner eigenen Stimme am Piano in Noten gießt. Das Vokabular dieser Sprache war im ersten Stück des Konzerts, „Sehnsucht“ vom kommenden Album „Sixteen Pieces“, allgegenwärtig: Das Thema ist gut versteckt, blitzt hier und da kurz auf, der Rhythmus verschiebt sich, ein getriebener Part wird auf einmal ein getragener und die Akkorde werden oft genau so aufgelöst, wie man es nicht erwartet. Melancholisch, trippig, hoffnungsvoll – die Komposition erfordert eine hohe Aufmerksamkeit seitens der Band und erzeugt eine hohe Aufmerksamkeit beim Publikum. Und auch wenn das Saxofon von Lutz Haefner die Band, wie beim ersten Stück aus dem aktuellen Album „Lepus“, bis zum Siedepunkt nach vorne treibt, lässt doch immer noch eine Spur fast skandinavischer Zurückhaltung Allhoffs Musik eher nach Reykjavik klingen als nach Rio.
In mehreren Interviews zur Platte erzählte der Pianist, dass das Konzept zu „Lepus“ war, eben gerade kein Konzept zu haben. Von diesem Freifahrtschein für reichste Abwechslung profitierte das Augsburger Publikum – exemplarisch sollen hierfür aber zwei Stücke stehen, die die jeweiligen Extreme bilden. „The Demogorgon“ ist eine finstere und vertrackte Personifikation des Bösen, die einen in ihrer mitreißenden Verführungskunst sofort auf die dunkle Seite überlaufen lassen möchte. Die wunderschöne Ballade „4th of July“ stammt nicht aus der Feder Allhoffs, sondern vom Berufseklektizisten Sufjan Stevens. Gemeinsam haben die beiden Künstler, dass sie hörbar für alles in der Musik offen sind, außer für Grenzen und Konventionen. Dass Allhoff Fan von Stevens ist, liegt auf der Hand, dass Stevens Fan von Allhoff wird, ist sicher, sobald ihm einer eine Kopie von „Lepus“ nach New York schickt.
Eine Weltpremiere in der Heimatstadt
Und wie man ein Konzert nicht nur berauschend, sondern auch historisch macht, das weiß ein zweifacher Echogewinner natürlich auch: Allhoff schenkt seiner Heimatstadt eine Weltpremiere. Nur lustig, dass der uraufgeführte Tune „Somewhere, Somewhen“ ausgerechnet nicht auf „Lepus“, zu Deutsch „Feldhase“ ist, denn mehr unerwartete Haken schlägt sonst kein Song mehr an dem an hakenschlagenden Arrangements nicht armen Abend. Und es mag sich seltsam anhören, aber nach dem Funkbrett „I am the Hareman“ bräuchte man eigentlich gar keine Zugabe mehr, denn energetisch kann das eigentlich nicht mehr zu toppen sein.
Denkste, sagen sich die vier samt ihres achtarmigen Schlagzeugtintenfisches Bastian Jütte und fegen mit einer rasenden Version von Coltranes „Giant Steps“ den Jazzclub aus. Giant Steps – das passt: Tim Allhoff ist Hand in Hand mit seinen feinen Mitmusikern mit Riesenschritten Richtung Jazzhimmel unterwegs.