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Interview: Stefanie Reinsperger: "Man muss diese Texte gut abklopfen"

Interview

Stefanie Reinsperger: "Man muss diese Texte gut abklopfen"

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    Die österreichische Schauspielerin Stefanie Reinsperger in dem Film „Ich bin ein Dreck“, den sie extra für das Brechtfestival 2021 gedreht hat. Er ist am Samstag erstmals zu sehen.
    Die österreichische Schauspielerin Stefanie Reinsperger in dem Film „Ich bin ein Dreck“, den sie extra für das Brechtfestival 2021 gedreht hat. Er ist am Samstag erstmals zu sehen. Foto: Hamdemir Isletme

    Frau Reinsperger, Sie sind von Düsseldorf, ans Burgtheater, vom Burgtheater ans Wiener Volkstheater, vom Volkstheater ans Berliner Ensemble gewechselt. War das dann der Moment, an dem Sie in Ihrem Schauspieler-Leben mit Bertolt Brecht so richtig in Vollkontakt gekommen sind?

    Stefanie Reinsperger: So richtig, richtig mit Brecht bin ich tatsächlich am Berliner Ensemble in Berührung gekommen. Ich bin ja Österreicherin, habe dort auch meine Schauspielausbildung gemacht, da ist Brecht nicht so das ganz große Thema. Als ich nach Berlin kam, durfte ich gleich als Grusche im „Kaukasischen Kreidekreis“ eröffnen, wo ich mir dachte: Seid ihr alle wahnsinnig. Das ist a) eine sehr große Herausforderung und b) natürlich fast unerreichbar, weil es mit so vielen Geschichten, mit der Uraufführung und Helene Weigel verbunden ist. Das spielen wir jetzt mit am längsten. Mit dem Stück waren wir schon in der ganzen Welt zu Gast.

    Wie fiel Ihre Begegnung als Schauspielerin mit Brecht aus?

    Reinsperger: Ich habe jetzt in drei Brecht-Inszenierung mitgespielt mit wahnsinnig unterschiedlichen Regisseuren: Michael Thalheimer, Frank Castorf und Ersan Mondtag.

    Das ist die ganze Bandbreite.

    Reinsperger: Ja wirklich. Und ich finde interessant, dass sich alle, so unterschiedlich sie auch arbeiten, zu diesem Autor hingezogen fühlen. Alle drei haben aber auch eine komplett andere Herangehensweise und Übersetzung gefunden. Dafür mache ich sehr gerne Theater. Dennoch hatte ich das Gefühl, ich tue mir ganz schwer mit dem Begriff Theater als Moralveranstaltung. Das möchte ich nicht mehr machen. Das möchte ich als Künstlerin nicht sein. Ich bin auch nicht besser als andere. Da habe ich schon das Gefühl, dass man diese Texte gut abklopfen muss, dass das nicht passiert. Wenn man sie davon befreit hat, ist da schon ein unglaublicher Reichtum drinnen. Was für wundervolle Bögen und Texte zum Beispiel im Baal zu finden sind! „Baal“ gehört zu den Abenden, die ich am meisten zu spielen vermisse.

    Es heißt, ihr Baal sei der wienerischste Baal, der je gespielt worden ist.

    Reinsperger: Ja, das sagen die Leute.

    Was gefällt Ihnen am „Baal“?

    Reinsperger: Das ist eine Rolle, die für einen Mann geschrieben war und Attribute bekommt, die in dieser Zeit weibliche Charaktere leider nicht so oft zugesprochen werden. Das war ein großes Geschenk, eine Schatztruhe, darin zu baden und so viel Spaß dabei zu haben. Ich habe mich bei meinen Kollegen immer wieder entschuldigt, weil ich so richtig fies wurde auf der Bühne und damit überfordert war, dass man sich diesen Raum einmal nehmen darf, weil das weibliche Figuren gerade in älteren Stücken gar nicht so oft dürfen. Es ist ein hochkomplexes Stück. Baal erzählt so viel über Brecht. Er hat das so jung geschrieben und sein ganzes Leben lang bearbeitet. Wir haben alle Fassungen gelesen, um uns diesem Baal zu nähern.

    Im Baal spielen Sie als Frau diesen Kerl, der alle Normen sprengt. Für das Brechtfestival nehmen Sie eine andere Perspektive auf Brecht ein, da geht es um die Frauen um ihn herum. Haben Sie sich das selbst ausgesucht?

    Reinsperger: Da folge ich dem Festivalthema Brecht und die Frauen. Aber die Texte und den Film haben wir in Eigenregie gemacht. Ich habe mit Jürgen Kuttner viel darüber gesprochen. Eigentlich wollten wir das live in Augsburg aufführen. Mich hat wahnsinnig interessiert, wer diese Frauen in seinem Leben waren und sie eigenständig dastehen zu lassen.

    Wie verbinden Sie jetzt Helene Weigel, Margarete Steffin und Inge Müller miteinander?

    Reinsperger: Es gibt von Margarete Steffin unter anderem einen Text, in dem sie schreibt: Bert, stelle dir einmal vor, es kämen alle Frauen, die du einmal hattest, an dein Bett. Und damit beginnen wir den Film. Wir lassen nicht nur die realen Frauen, sondern auch die Theaterfiguren, die Brecht geschaffen hat, auf diesen Brecht einprasseln. Das fand ich sehr reizvoll, wenn alle gleichzeitig mit ihm gesprochen hätten. Dann gehen wir kurz in Brechts Innenansicht und lassen ihn laut werden und denken. Dann, das war mir wichtig, kommen wir auf diesen „Ich bin ein Dreck“-Text von Margarete Steffin. Das war für mich zusammen mit Akin Isletme der Ausgangspunkt, darüber nachzudenken, was wir wollen. Ein bisschen ist die Idee: Wie können wir so theatral wie möglich, Film machen.

    Schlägt da nach Monaten des Lockdowns die Sehnsucht nach Theater durch?

    Reinsperger: Wir möchten alle wieder kreativ sein und unsere Arbeit machen, ich möchte sehr gerne wieder spielen. Das ist eine wundervolle Chance gewesen, die uns das Brechtfestival dafür gegeben hat. Wichtig war uns, dass wir nicht etwas Vorhandenes abfilmen, sondern alles für das Festival neu schaffen. Es sind 23 Filme insgesamt, die man im Festival sehen kann. Das ist so eine Menge. Ohne die anderen Sachen gesehen zu haben, bin ich fest davon überzeugt, dass in den anderen Sachen genauso viel Herzblut drinsteckt wie bei uns, weil wir langsam aber sicher diese Situation als Künstler untragbar finden.

    Wann war Ihre letzte Vorstellung?

    Reinsperger: Anfang Oktober.

    So eine lange Pause hatten Sie noch nie?

    Reinsperger: Ich habe das Glück, dass ich immer probe und sehr viel drehe. Aber den normalen Theateralltag nicht zu haben, das tut richtig weh, wie verlassen werden, wie Liebeskummer. Die Theater brauchen dringend eine Perspektive.

    Wie hat Ihnen gefallen, als Schauspielerin für das Brechtfestival ein komplettes Projekt zu erarbeiten?

    Reinsperger: Das ist eine große Chance und auch eine große Verantwortung. Ich habe mir das Konzept gemeinsam mit Akin Isletme überlegt, der auch Regie geführt hat. Alles allein zu machen, ist doch sehr viel. Ich bin ein großer Fan von Selbstständig-Mitdenken. Mich hat das gefreut, als Jürgen Kuttner mich gefragt hat, etwas für das Festival zu entwickeln. Könnte ich mich daran gewöhnen.

    Zum Schluss: Jetzt haben Sie jüngst Ihren Einstand als Dortmunder Tatort-Kommissarin gegeben. Was war das für eine Erfahrung für Sie, bei diesem Fernseh-Flaggschiff mit an Bord zu sein?

    Reinsperger: Das ist schon eine große Ehre. Für mich ist das surreal, das wurde alles im Jahr 2019 realisiert. In dem schlimmen Jahr 2020 dann Arbeit zu haben, ist ein doppelt beglückendes Gefühl. Dieses Team ist einfach großartig.

    Zur Person: Stefanie Reinsperger, 33, ist in Baden bei Wien geboren. Schon für ihr erstes Engagement ist sie als Schauspielerin des Jahres ausgezeichnet worden. Seit 2017 gehört sie zum Berliner Ensemble.

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