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Interview: Sebastian Seidel: „Wir haben eine sehr dichte Spielzeit vor uns“

Interview

Sebastian Seidel: „Wir haben eine sehr dichte Spielzeit vor uns“

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    Sebastian Seidel: „Wir haben eine sehr dichte Spielzeit vor uns“
    Sebastian Seidel: „Wir haben eine sehr dichte Spielzeit vor uns“

    Herr Seidel, in welcher Stimmung gehen Sie mit dem Sensemble in die neue Spielzeit?

    Sebastian Seidel: Gespannt, erwartungsfroh, aber immer noch etwas zurückhaltend, ob alles so klappen kann, wie wir uns das vorstellen. Wir freuen uns auf jeden Fall, dass es wieder losgeht und wir hoffentlich bald wieder ein volles Haus haben dürfen. Aber so ganz trauen wir dem Frieden noch nicht. Im letzten Herbst waren wir auch sehr erwartungsfroh und wir hatten viel vor. Aber sehr viel davon ist leider gescheitert und konnte nicht stattfinden. Die jetzige Saison aber müsste eigentlich gut laufen und Corona dürfte uns keinen Strich mehr durch die Rechnung machen.

    Zwischenzeitlich hatte sich die Lage wieder entspannt. Konnte die Lockerung auch Ihre Situation als Theater wieder einigermaßen stabilisieren?

    Sebastian Seidel: Die wirtschaftliche Lage ist durch das Überbrückungsgeld III besser geworden. Emotional hat uns sehr geholfen, dass wir wieder spielen konnten. Auch wenn uns das finanziell kaum etwas genutzt hat, weil wir nur wenige Zuschauer haben durften. Es war nur ein bisschen mehr als ein Drittel besetzt. Aber für die Schauspieler hat es sehr viel gebracht, weil sie einfach wieder selbstständig Geld verdienen konnten und nicht mehr nur auf Hilfe angewiesen waren. Als Theater konnten wir ihnen wieder normale, faire Honorare zahlen. Letzten Herbst haben wir alle Honorare kürzen müssen, damit das Theater überlebt.

    Die gebeutelte Saison 2020/21 ist ausgeklungen fast wie immer mit dem bunten Theatersport-Tagen …

    Sebastian Seidel: Das war super. Wir hätten es kaum zu hoffen gewagt. Wir haben fünf Tage am Stück gespielt und hatten fast immer gutes Wetter in einem verregneten Sommer. Insofern war das ein sehr versöhnlicher Abschluss. Wir waren auch immer voll mit den 150 Zuschauern, die wir im Martinipark haben durften. Und sie waren alle sehr dankbar, dass es stattfinden konnte.

    Und in der neuen Spielzeit geht es am 16. September wieder los mit einem Thema, das nicht aktueller sein könnte. Mussten Sie am Stück „Wahlschlacht 2021“ etwas aktualisieren?

    Sebastian Seidel: Nein. Ich hatte das Stück umgeschrieben in der ersten Corona-Pause im April/Mai 2020. Jetzt gibt es keine Notwendigkeit mehr. Alles, was in dem Stück vorkommt, ist nämlich auch tatsächlich passiert. Eben dieser Machtkampf der Parteivorsitzenden, wie jetzt die Trielle im Fernsehen stattfinden und wie man sich als Kanzlerkandidat präsentiert. Eigentlich ist das alles schon vor-geschrieben gewesen. Ich dachte schon: Die spielen unser Stück nach! Denn auch dieses „Weiter so!“ spielt eine große Rolle in dem Stück. Die Realität hat das Stück bestätigt. Da wir im Juni nur vor wenig Publikum spielen konnten, war klar: Wir müssen das Thema vor der Bundestagswahl noch mal platzieren. Wir freuen uns auf die sechs Aufführungen bis 26. September.

    Wie viele Zuschauer dürfen Sie im Augenblick ins Sensemble einlassen?

    Sebastian Seidel: Wir lassen so um die fünfzig ein, weil wir noch auf Abstand gehen. Denn die Schauspieler werden die Zuschauer einbeziehen und wollen sie deshalb ohne Maske sehen. Erst ab Oktober spielen wir vor vollem Haus – mit Maske. Dann hängt die Zuschauerzahl von der Konstellation ab, wie viele Zweier- und Dreiergruppen jeweils im Publikum sind. Es gibt übrigens noch Karten für alle Vorstellungen.

    Kaum nimmt die Bundeskanzlerin aus dem Osten Abschied, heißt es bei Ihnen ab 3. Oktober wieder „Born in the GDR“. Ein Akt der Nostalgie?

    Sebastian Seidel: Wir haben dieses Stück zum Mauerfall gespielt und 2020 zu dreißig Jahren deutsche Einheit – aber leider nicht sehr oft. Wir müssen es unbedingt nochmals spielen. Die Nachfrage ist sehr hoch, den Zuschauern hat es sehr gut gefallen. Wir planen auch eine Fortsetzung „Born in the BRD“, die dann nächstes Jahr herauskommen soll am Tag der deutschen Einheit. Ähnlich wie die Geschichte der DDR anhand der Popmusik nacherzählt wird, zeigen wir dann parallel die gesellschaftliche Entwicklung im Westen. Wir spielen es auf der Studiobühne, die seit dem Umbau ein Jahr ruhte.

    Haben Sie den Eindruck, dass die DDR für Wessis immer noch ein unbekanntes Land ist?

    Sebastian Seidel: Ja doch. Wir hatten viele Rückmeldungen. Und es waren viele ehemalige DDR-Bürger bei uns, die Lust zum Diskutieren hatten. Es gab viele Sachen, die wir nicht wussten und aufgeklärt wurden und wo Vorwürfe gemacht wurden. Das Thema ist noch nicht durch.

    Die erste ganz neue Premiere im Sensemble heißt „Abschiedsdinner“. Was erwartet uns darin ab 8. Oktober?

    Sebastian Seidel: Diese typisch französische Komödie wollten wir schon länger spielen. Es geht darum: Wenn man längere Freundschaften hat zu anderen Paaren, entwickelt sich das Verhältnis vielleicht auseinander, aber man hat ein bestimmtes Ritual, das einen zueinander hält. Wie kommt man aus so einem Gefüge aus? Die Freunde werden eingeladen, und ohne dass sie es wissen, wird’s ein Abschiedsdinner. Das Publikum muss mit herausfinden, was da gespielt wird.

    Als nächste Premiere bieten Sie „All das Schöne“ ab 26. November, aber so schön ist es gar nicht?

    Sebastian Seidel: Richtig. Es ist ein berührendes Stück zu einem schwierigen Thema. Da schreibt eine junge Frau als Liste auf, was das Leben lebenswert macht. Weil die Mutter Suizid begangen hat. Es geht um Depression und was sie bei einem Jugendlichen auslöst. Die Frau erzählt aus ihrem Leben und kommt immer wieder auf die Liste zurück, auf der all das Schöne aufgelistet ist und die im Laufe des Lebens immer länger wird. Es passt gut in unser Konzept, weil es mit interaktiven Elementen arbeitet. Und zu unserem Spielzeit-Motto „Wie wollen wir leben?“, was hält uns als Gesellschaft zusammen im Kleinen wie im Großen?

    Im Dezember legen Sie noch so eine fatale Spur. Das Stück von Daniel Kehlmann heißt „Heilig Abend“, aber es ist alles andere als idyllisch!

    Sebastian Seidel: Wir wollten es unbedingt spielen, nachdem voriges Jahr die ganze Weihnachtsspielzeit ausgefallen war. Es geht um die Diskussion, wie ist die Freiheit in der Gesellschaft? Wie gehen wir mit Terror um, mit Bombenanschlägen? Was kann man privat denken, was davon versenden, was davon wird Realität, wird gefährlich? Es ist auch ein sehr spannender Krimi um zwei Personen, die um die Wahrheit ringen. Die eine vertritt den Staat, die andere die Freiheit. Die Sache ist auch auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung um Corona interessant: Wie schnell wird man zum Staatsfeind? Ist man gleich Corona-Leugner, wenn man sich bestimmte Gedanken macht und sich so beträgt?

    Wer es lieber heiter will in der Weihnachtszeit, kann sich ja am „Messias“ ergötzen, Ihrem Evergreen. Zum wie vielen Male eigentlich?

    Sebastian Seidel: Seit 2002, jetzt 18 Jahre, weil’s letztes Jahr ausgefallen ist. Wir müssen das Stück einfach spielen. Und gleich „Hamlet for You“ hinterher an Silvester. So lange Birgit Linner und Jörg Schur daran Spaß haben, wollen wir beides im Repertoire behalten. Überhaupt: Wir spielen sehr viel vor und um Weihnachten. Ab 21. Januar gleich noch „Frankenstein unlimited“ hinterher, weil dasselbe Duo spielt und wir das Stück auch nur eine Saison 2019 aufführen konnten. Das ist sozusagen eine Serie für die Fans der beiden komischen Schauspieler.

    Auch im Jahr 2022 geht es spannend weiter auf Ihrer Bühne …

    Sebastian Seidel: Im Februar nehmen wir wieder „Waisen“ von Denis Kelly auf, worin es um einen Gewaltakt geht, den jemand leugnet und doch begangen hat – an einem Menschen mit Migrationshintergrund. Da stellt sich die Frage: Wer gehört dazu und wer nicht? Die Premiere „Eiscreme“ im März 2022 war eigentlich schon dieses Jahr geplant, es ist fertig inszeniert bis zur Generalprobe, aber es durfte nicht herauskommen. Es ist ein Lebenslauf zwischen Mutter und Tochter in sieben Szenen, immer in einer Eisdiele, mit Alterssprüngen und zeigt Weggabelungen im Leben auf. Miro Gavran schreibt sehr lebensecht.

    Wie ist es für Schauspieler, wenn sie mit größerem zeitlichen Abstand ein Stück endlich spielen können? Müssen sie sich wieder alles neu erarbeiten?

    Sebastian Seidel: Es ist leichter, etwas wiederaufzunehmen, wenn man es schon zehn, zwölf Mal gespielt hat. Schon eine Erfahrung mit dem Stück durchgemacht hat. Wenn man nur geprobt hat und das Stück nie rausbringen konnte, ist das was ganz anderes, weil man es doch von sehr weit unten hochholen muss. Man erinnert sich vielleicht noch, aber man hat sich selbst auch weiterentwickelt und kommt auf neue Gedanken zu dem Stück. Es kann nicht so rauskommen, wie man das ursprünglich geplant hat. Man muss nochmals in einen Probenprozess rein, der sich aber merkwürdig anfühlt. In „Eiscreme“ gibt es allerdings viele (schon produzierte) Videos und die verschiedenen Kostüme, die es den Schauspielerinnen leichter machen.

    Alles in allem wird’s 2021/22 eine sehr spannende Spielzeit?

    Sebastian Seidel: Vor allem eine sehr dichte Spielzeit. Wir haben dann noch zwei Premieren und das voriges Jahr ausgefallene Gavran-Fest mit zwei Gastspielen aus Rumänien und Kroatien. Dicht ist die Saison auch, weil wir jetzt zwei Bühnen bespielen und damit die Aufbauten stehen lassen können. Mit der Studiobühne, die immerhin auch 60 Zuschauer fasst, haben wir die Möglichkeit geschaffen, mehr Stücke zu spielen. Wir wollen auch die Bar wiederbeleben. Während Corona haben wir im Theater umgebaut, der Eingangsbereich ist größer geworden und die Toiletten saniert. Corona hat uns da geholfen. Wir haben Geld bekommen für den Umbau, für neue Technik, Beamer, LED-Scheinwerfer.

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