Weißrussland ist ein blinder Fleck in der Erinnerungskultur der Deutschen. Dabei war es mit der Erschießung zigtausender Juden aus den Regionen des Deutschen Reichs ein wichtiger Schauplatz der Massenmorde. Doch die Tatorte hinter der polnischen Grenze sind in Deutschland, aber auch in Weißrussland selbst, fast vergessen.
Mit Kristiane Janeke lud das Jüdische Museum jetzt eine Expertin für diese Region ein. Kristiane Janeke ist Slawistin und Museumsberaterin, leitete unter anderem das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst und lebte mehrere Jahre in Minsk, der Hauptstadt von Belarus.
Die Deutschen ermordeten ein Viertel der Gesamtbevölkerung Weißrusslands
Auf deutscher Seite wirkt sie an einem zentralen europäischen Erinnerungsprojekt in Weißrussland mit: Trostenez, der größte Vernichtungsort Weißrusslands, wird zu einem gemeinsamen Erinnerungsort deutscher, tschechischer, österreichischer und weißrussischer Opfergruppen ausgebaut. Von 1941 bis 1942 liefen hier Deportationszüge mit jüdischen Menschen aus Berlin, Hamburg, Bremen, Düsseldorf, Köln, Frankfurt, Wien und Theresienstadt ein. Zwischen 50000 und 206500 Menschen wurden auf dem Gelände Trostenez, zumeist in einem kleinen Waldstück, getötet, verscharrt, später exhumiert und verbrannt. Während der Besatzungszeit Weißrusslands von 1941 bis zur Befreiung durch die Rote Armee 1944 ermordeten die Deutschen ein Viertel der Gesamtbevölkerung des Landes.
Die internationale Forschung aus den Opferländern hat sich des Genozids an der Peripherie des Reiches längst angenommen. Ein Teil des 100 Hektar großen Gebiets wurde unter anderem mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes erschlossen und 2018 eingeweiht. „Es kamen Akteure der Erinnerungsarbeit aus dem Baltikum, Belarus, Deutschland, Österreich, Polen, Russland, Tschechien und der Ukraine. Das war ein europäisches Signal“, erklärte Janeke vor etwa 60 Zuhörern im Festsaal der Augsburger Synagoge.
Ein dauerndes Auf und Ab zwischen rechtlichen Ausgrenzungen und Zugeständnissen
Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Belarus war – wie so oft in Europa – ein dauerndes Auf und Ab zwischen rechtlichen Ausgrenzungen und Zugeständnissen, zwischen Assimilation und Pogromen. „Die antisemitischen Pogrome zu Beginn des 20. Jahrhunderts fielen in Weißrussland trotzdem weit schwächer aus als im Rest des Reiches“, erklärt Janeke. Bis zur Oktoberrevolution 1917 waren Juden gleichgestellt, danach wurden die Gemeinden aufgelöst, Synagogen und Sprache verboten. Eigene Minderheiten-Narrative hatten in der Sowjetunion keinen Platz.
„Die Geschichte der Region ist komplex“, erläutert Janeke. Das Gedenken kannte bis vor kurzem ausschließlich die Toten der etwa 1000 Partisanengruppen, die im Kampf gegen die Deutschen fielen. Unter diesen seien auch viele Kämpfer jüdischen Glaubens gewesen, die jedoch nicht extra geehrt werden.
Die Erinnerung an den Holocaust wird, so hofft Janeke, vor allem in Trostenez trotz der unterschiedlichen nationalen Interessen zu einem gemeinsamen europäischen Ort statt zu getrennten nationalen Denkmälern führen. Dafür müsse auch Deutschland mitunter andere Perspektiven und Erinnerungskulturen mittragen.