Wolfhard von Roth war anders. Die meisten seiner Bischofskollegen wollten nach ihrem Ableben in Stein oder Bronze verewigt der Nachwelt als 30-Jährige erhalten bleiben. Schließlich war auch Jesus jung gestorben, dieser Aura wollten sie im Tod nahe sein. Nicht so Wolfhard, der von 1288 bis 1302 in Augsburg als Bischof regierte. Er war der erste Kirchenmann überhaupt, der sich nach seinem Tod auch als tatsächlich Toter in Bronze gießen ließ. Heute steht sein Grab samt der kunsthistorisch einmaligen, 800 Jahre alten Platte und einem darunter befindlichen Zinnkasten mit den Gebeinen des Geistlichen in der Konrad-Kapelle des Augsburger Doms.
Dass dies nicht der ursprüngliche Bestattungsort ist, wissen nur wenige. Doch darin immerhin sind sich die neun Wissenschaftler einig, die sich am Wochenende zum Studientag über dieses Grabmal und dessen Besitzer im Augsburger Staatsarchiv austauschten. Seit etwa einem Jahr beschäftigen sich Historiker, Kunstgeschichtler, Theologen sowie ein Chemiker und ein Ingenieur von den Universitäten Augsburg, München, Freiburg, Gotha und Berlin mit dem rätselhaften Kirchenmann und seiner Grabplatte. War Wolfhard 1302 im Ostchor bestattet worden? Quellen von 1612 erwähnen, wie die gesamte Grablege von hier in den gotischen Westchor geräumt wurde. Als sich 1782 Papst Pius ankündigte, wurde die schwere Bronzeplatte an die Wand genagelt, damit der Kreuzaltar frei wurde. Vier Jahre darauf landete das Bronzewerk wieder auf der Tumba über dem im Boden versenkten Zinnkasten. 1970 ließ der damalige Bischof das gesamte Grab in die Konrad-Kapelle transportieren.
Das Gerücht, die erste Grabstätte habe sich außerhalb des romanischen Doms befunden, hält sich. Doch geben das weder der Bau selbst noch alte Quellen her. „Hätten wir den Gipsabdruck, der beim letzten Umzug 1970 offenbar von der Inschrift auf dem Zinnkasten gemacht wurde, wären wir sicher schlauer“, sagt die Münchener Historikerin Dorothea Diemer. Aber schließlich habe Bischof Wolfhard von Roth großzügig gestiftet. „Warum sollte er – anders als sein Vorgänger und sein Nachfolger – nicht ebenfalls innerhalb der Kirche begraben worden sein?“, gibt sie zu bedenken.
Wolfhard von Roth war ein geachteter Mann in der Stadt
Die Grabplatte selbst zählt zu den ungewöhnlichsten Bilddarstellungen des 14. Jahrhunderts. Die Augsburger Kunsthistorikerin und Projektleiterin Rebecca Müller erklärt: „Es ist überraschend, dass der Mann in der Forschung trotzdem noch so wenig präsent ist.“ Mit Röntgenfluoreszenzanalytik rückte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege der Bronzeplatte zu Leibe. Ob sie aus derselben Künstlerwerkstatt stammt wie eine Glocke aus St. Moritz, die dieselbe Signatur trägt – dafür konnte der Ingenieur Martin Mach kein Indiz liefern. Zu stark unterschieden sich Zinn- und Bleigehalte beider Werke. Der Chemiker Björn Seewald vom Landesamt immerhin fand mit seinen Untersuchungen heraus, dass die Platte wohl nicht massiv ist. Und aus Qualitätsunterschieden zwischen Kopf- und Fußende gewann er eine weitere Erkenntnis: Der Künstler goss das 1000 Grad heiße Material von der Mitra beginnend zu den Füßen.
Aber wer war dieser Bischof, um den solch ein Aufwand betrieben wird? Er stammte aus Oberroth in Schwaben, wurde schon 1256 ins Domkapitel berufen und 1288 zum Bischof gewählt. Der Augsburger Historiker Thomas Krüger untersuchte Siegel und Urkunden und stellt fest: „Ohne sich selbst zu inszenieren, hatte er wohl großen Rückhalt in der Stadt, war auch nicht einfach vom Papst eingesetzt. Er wurde als Schiedsrichter sogar bei weltlichen Streitigkeiten gefragt.“ Außerdem, darauf weist Mittelalterhistoriker Mathias Kluge hin, erwähnen ihn reichsstädtische Rechtstexte. „Das ist sehr ungewöhnlich, schließlich hatte die Bürgerschaft sich gerade vom Klerus emanzipiert“, so der Augsburger. Hinzu kommt – dazu forscht Florian Dorn vom gleichen Lehrstuhl – die enge Verbindung zwischen Wolfhard und den seinerzeit noch verpönten religiösen Frauengemeinschaften, hier vor allem zu den Damen in Leuthau bei Schwabmünchen. Für sie baute er 1262 das Augsburger Kloster St. Margareth und zahlte 25 Gulden für ihre Aufnahme in den Dominikanerorden.
Gerhard Lutz vom Diözesanmuseum Hildesheim ging einigen anderen „alten“ Herrscherdarstellungen aus dem 13. Jahrhundert nach. Er vermutet einen Zusammenhang zwischen Dominikanerinnen und der Darstellung des liegenden Bischofs mit eingefallenen Augen und Wangen, die Nase scharf und übergroß. Ähnlich gezeichnet liegt im Speyerer Dom auch der Zeitgenosse Wolfhards, Rudolf I. von Habsburg. Auch er hatte enge Verbindungen zu Bettelorden. Ebenso wie Papst Clemens IV, der 1268 in Italien starb, in einer Dominikanerkirche beigesetzt wurde, und auf seinem Grabmal ebenfalls vom Verfall gezeichnet ist. „Es lohnt sicher, in der Erforschung Wolfhards zukünftig die besondere Spiritualität der Bettelorden zu berücksichtigen. Sie erinnerte daran, sich im Leben auf Tod und Sterblichkeit zu besinnen“, so der Hildesheimer.