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Gedichte: Bertolt Brecht bedichtet die Bäume

Gedichte

Bertolt Brecht bedichtet die Bäume

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    Bei den Bäumen fühlte sich der Dichter Bertolt Brecht wohl. Die Augsburger Aufnahme aus den 1920er Jahren stammt aus einem Fotoalbum aus dem Nachlass seines Bruders Walter Brecht.
    Bei den Bäumen fühlte sich der Dichter Bertolt Brecht wohl. Die Augsburger Aufnahme aus den 1920er Jahren stammt aus einem Fotoalbum aus dem Nachlass seines Bruders Walter Brecht. Foto: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg

    Bäume, wohin man sieht. Sie stehen (noch), und sie liegen darnieder. Doch vor allem, so scheint es, stehen sie im Regal und liegen auf den Tischen der Buchhandlungen. Dort werden ihre heilenden Kräfte auf- und abgerufen. Es ist Baumzeit.

    Dieser Umstand sichert einer Untersuchung nachhaltige Aufmerksamkeit. Sie arbeitet das Motiv des Baumes in der Lyrik Bertolt Brechts in bislang ungekannter Systematik und Gründlichkeit auf. Wobei das Thema die Versgrenzen weit überschreitet und insbesondere auf das „Baal“-Drama ausstrahlt. Autor ist Prof. Jürgen Hillesheim, Leiter der Brecht-Forschungsstätte Augsburg. Er stellt seine Auswahl von gut 50 Gedichten, die chronologisch von den Anfängen bis in die 1950er Jahre interpretiert werden, unter den Titel „Immer unbändiger die Lust, noch größer zu werden...“. Schon dieses Brecht-Zitat von 1913 bezeugt jene schillernde Ambivalenz, die für das Leben und Schreiben des Augsburger Dichters so bezeichnend ist.

    Sein Gespräch über Bäume zieht sich durch Brechts ganzes Werk

    Hillesheims versierte Analysen führen den Blick über das Einzelwerk hinaus. Sie diskutieren Datierungen, verfolgen Brechts Selbststilisierung, sondieren biblische und philosophische Einflüsse (Nietzsche!) sowie Gegenentwürfe zu Goethes „Wanderers Nachtlied“ und zur „Winterreise“ von Müller/Schubert. Sie verwahren sich gegen manche amüsant-erschreckende parteipolitische Zurichtung, wägen kontroverse Deutungen, schließen Forschungslücken und sparen Brechts schwankende Qualität nicht aus. Kurz und bündig: Brechts fortwährendes Gespräch über Bäume ist eine prägende Linie seines Werkes, verzweigt zwischen Individualität, Politik und Ästhetik.

    „Da lachte der Baum.“ „Und der Baum ist gestorben.“ Zwei Zeilen aus dem wahrscheinlich ersten „Baum-Gedicht“ Brechts und womöglich seinem frühesten Gedicht überhaupt: „Der Geierbaum“ (Juli 1912). Groß und stark wächst er empor, gleichsam ein Heroe der Natur – und doch ist er zugleich eben dieser Natur ausgesetzt, dem tödlichen Angriff der Geier.

    Wenig später ändert sich die Perspektive. Der Baum denkt und fühlt nicht mehr wie ein Mensch, sondern wandelt sich zur „seelenlosen“ vegetativen Kraft: „Vom Tod im Wald“ (1916): „Und ein Mann starb im Hathourywald/Wo der Mississippi brauste./ Starb wie ein Tier in Wurzeln eingekrallt...“ Der sterbende, in die Natur hineingenommene, dem Vergehen und Werden anverwandelte Mann weist voraus auf das Ende Baals.

    Ein Baumgedicht fordert die Jugendliebe Bi zum sexuellen Stelldichein auf

    Einen anderen, singulären Ton setzt das Gedicht „Vom Klettern in Bäumen“ (1919): „Es ist ganz schön, sich wiegen auf dem Baum!“ Welch heitere, wenn auch stilisierte Gelassenheit, welches Glück in der Höhe! All den düster-bedrohlichen, erbarmungslos kalten, lyrischen Baumgewächsen widerspricht auch das Gedicht „Der Fluß lobsingt“ (1920): „Die schönen Weiden machen alles froh.“ Brecht hat die wohltönenden Zeilen seiner Jugendliebe Paula Banholzer („Bi“) zugeeignet, wohl nicht ohne Hintersinn. Hillesheim liest aus der Frühlingsstimmung eine „poetische Aufforderung zum sexuellen Stelldichein“.

    Welcher aber ist Brechts „Baum der Bäume“? Weder Geier- noch Pflaumenbaum, nicht die Tanne oder Silberpappel, weder Pinie noch Kiefer – sondern der von BB in der „Morgendlichen Rede“ apostrophierte „Baum Green“ (1922). Drei Zeilen aus dem Gedicht: „Sie haben den bittersten Kampf Ihres Lebens gekämpft“; „Ja, wir sind nicht für die Masse...“; „Es war wohl keine Kleinigkeit, so hoch heraufzukommen zwischen den Häusern“. Hier wird eine Spezies gefeiert, der das majestätisch Aufragende, sich Platz Verschaffende jener Bäume in den Gedichten von 1912/13 fernsteht.

    Brecht lebte in Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist

    „Baum Green“, so Hillesheim, „erobert nichts zurück, sondern er überlebt nur, weil er sich anpasst und damit so wird wie die Zivilisation, deren Gesetze er übernimmt.“ Green besteht dank seiner Biegsamkeit. Er wird für das lyrische Ich zum Spiegelbild, zu einem vorbildlichen Städtebewohner. Hillesheim weist Nietzsches „Baum am Berge“ (im „Zarathustra“) als Vorlage für Green aus. Anders indes als der Philosoph erklärt Brecht die Biegsamkeit zur Tugend im Konkurrenzkampf. Das schließt die zwielichtige Eigenschaft des Lavierens durchaus ein. Die Flexibilität des Baums Green variiert BB ein Leben lang, vom „Baal“ bis zu den oft elegischen, die Lage des Exil-Schriftstellers und seiner Kunst bedenkenden Verse der späten 1930er („Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist?“) wie der 1950er Jahre. Green, so unscheinbar er sein mag, ist für Hillesheim „einer der spektakulärsten und gleichzeitig originellsten Bäume der deutschen Literaturgeschichte.“

    "Jürgen Hillesheim: Immer unbändiger die Lust, noch größer zu werden... Das Motiv des Baumes in der Lyrik Bertolt Brechts. Verlag Königshausen & Neumann, 365 Seiten, 48 Euro.

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