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Fotograf Jürgen Scriba auf "Außendienst" im Höhmannhaus

Fotografie

Wenn die Kamera zum "Außendienst" fährt

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    Wolken, Licht und Straße: eine der Aufnahmen aus der Fotoserie "Außendienst" von Jürgen Scriba.
    Wolken, Licht und Straße: eine der Aufnahmen aus der Fotoserie "Außendienst" von Jürgen Scriba. Foto: Jürgen Scriba

    Die Kamera von Jürgen Scriba ist ein besonderes Exemplar. Dass sie "zwei Tonnen" wiegt, darüber wird man gleich am Eingang der Ausstellung informiert. Wie bitte, zwei Tonnen? Ja, denn Scribas Lichtbildapparatur ist, etwas zugespitzt gedacht, sein Auto. Der Fotograf hat nicht einen mehr oder weniger kleinen Kasten vor sich, er sitzt mitten im Kasten, und der Sucher hat nicht bloß eine Diagonale von wenigen Zentimetern, sondern umfasst die Dimensionen einer Windschutzscheibe. Aufs Zielobjekt geschwenkt wird diese "

    Scriba, im Hauptberuf Experte für die Elektronik großer (Kirchen-)Orgeln, ist mit dem Auto viel auf Straßen unterwegs. Das brachte ihn auf die Idee, seine Leidenschaft für die Fotografie mit dem ständigen Unterwegssein zu verbinden. Hinter der Frontscheibe seines Wagens installierte er eine Kamera, deren Bildausschnitt eben nur mit den Bewegungen des Fahrzeugs mitwandert. Mehr als 80.000 Aufnahmen sind auf diese Weise bereits entstanden, eine Auswahl aus diesem riesigen Konvolut ist jetzt im Augsburger Höhmannhaus zu sehen unter dem bezeichnenden Titel "Außendienst". 

    Über Land und im Dickicht der Gewerbegebiete

    Scribas Begegnungen auf seinen im Bild festgehaltenen Fahrten sind Tauchgänge in die gebauten Befindlichkeiten unseres Landes. Nicht nur, weil ein Teil der Querformate stets Asphalt zeigt – Straßen sind gewissermaßen die Führer in das Bild hinein. Es geht in Dörfer, in denen Fachwerk-Heimeligkeit fugenlos übergeht in Beton-Scheußlichkeit. Es geht vorbei an den lustlosen Architekturen irgendwo hingepflanzter Neubausiedlungen und weiter ins Dickicht vorstädtischer Gewerbegebiete mit ihren mal banalen, mal brutalen Funktionskubaturen. 

    Jürgen Scriba im Auto mit seiner Kamera.
    Jürgen Scriba im Auto mit seiner Kamera. Foto: Jürgen Scriba

    Und doch zeigt all dies lediglich die Hälfte von Scribas "Road Photography". Denn die Kamera ist so im Auto fixiert, dass die Horizontlinie kaum je die Mitte des Bildes nach oben überschreitet, sodass der Himmel und die dort sich zeigenden Phänomene bedeutenden Raum einnehmen. Die Wolken und ihre Wandlungsvielfalt – riesige Kumulanten, transparente Schleierformationen, tiefschwarz lastende Regenfronten – gehören zum Faszinierendsten, was die Aufnahmen zeigen. Das Licht, je nach Tageszeit, tut ein Übriges, bildet nicht nur Aureolen rund um dunkles Gebausche am Firmament, sondern verwandelt das öde Grau des Straßenbelags auch schon mal in Silberbänder, die durch die Landschaft glitzern. Scriba hat zweifellos recht, wenn er auf das Faktum verweist, dass man als Autofahrer einer eingeschränkten Wahrnehmung unterliegt, dass am Steuer der Fokus auf den Verkehr und die damit verbundenen Situationen gerichtet ist – das Erfassen dessen, was im weiten Sichtfeld draußen vor dem fahrenden Wagen alles sich darbietet, zu weiten Teilen gar nicht stattfindet. Der technische Blick der Kamera aber kennt diese Unterscheidung nicht, unbestechlich hält sie die Erscheinungen am Himmel und auf Erden fest. 

    Menschen werden nicht erfasst

    Eines aber hat auch Scribas Fotoapparat nicht festgehalten, zumindest, soweit es die Motive an den Wänden der Ausstellung wiedergeben: Menschen sind so gut wie nie zu sehen. Das mag einerseits Konzept sein, andererseits der Tatsache geschuldet, dass wohl viele der Fahrten und damit auch Aufnahmen während der Zeit der Pandemie erfolgten. Auf einer der Fotografien blickt die Kamera in eine Straßenunterführung, in welcher zwei Reiter entgegenkommen, im scharfen Gegenlicht sind jedoch nur ihre Konturen, keine individuellen Physiognomien zu erkennen. Sonst, auf den Fotografien mit fließendem Verkehr, gibt es zwar zweifelsfrei Fahrzeuge in Bewegung, wer jedoch am Steuer sitzt, bleibt ebenso verborgen wie in Wohngebieten die Menschen hinter Türen, Fenstern und Mauern. Die geradezu kategorische Abwesenheit von Leben überzieht Scribas "Außendienst"-Serie mit einem Firnis von Dystopie.

    Scriba hat seiner Präsentation auch eine akustische Ebene mitgegeben, eine Tonspur, in der KI-generierte Stimmen zu vernehmen sind, die Passagen aus dem Skurrilitätenkabinett der deutschen Straßenverkehrsordnung vortragen. Eine Zusatzebene, derer es freilich gar nicht bedurft hätte, denn die Aufnahmen verfügen über genügend Potenzial, um für sich selbst zu stehen. Es sei denn, man versteht den Paragrafensprech als bewusst gesetzten Verfremdungseffekt, um nur ja nicht dem ästhetischen Reiz der Fotos zu erliegen. Über einen solchen nämlich verfügt Scribas Fotografie sehr wohl, und keineswegs nur diejenigen Motive, in denen die Natur – siehe oben – ihre Trümpfe ausspielt. Wie komponiert wirken immer wieder auch die Strukturen, die der Zufall arrangiert: die Liniengeflechte, die von den Stromleitungen gezogen werden; die kühne, bildbestimmende Dynamik der Brückenbögen; die Spiele des Lichts, das mit seinen Schatten Straßen, Wiesen, Wände bemustert. 

    Aus der "Außendienst"-Fotoserie von Jürgen Scriba
    Aus der "Außendienst"-Fotoserie von Jürgen Scriba Foto: Jürgen Scriba

    Und dann sind da auch die Fotografien, die die Nacht festhalten. Wenn die Frontscheinwerfer nur noch ein paar Meter die Straße abzutasten vermögen und reflektierende Fahrspurmarkierungen schemenhaft aus dem Dunkel treten, wenn in weiterer Ferne aus tiefschwarzer Undurchdringlichkeit doch noch ein rotes oder gelbes Werbesignet einsam aus dem Schwarz hervorleuchtet, dann entfaltet der "Außendienst" eine betörende, die Straßen-Ikonografie des Kinos (etwa bei David Lynch) ins Gedächtnis rufende Suggestivkraft.

    Bis 8. September in der Neuen Galerie im Höhmannhaus (Maximilianstraße 48), Dienstag bis Sonntag jeweils von 10 bis 17 Uhr.

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