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Foto: Leif Eric Young/Brechtfestival
Foto: Leif Eric Young/Brechtfestival

Daria Welsch in der Inszenierung des Augsburger theater-Ensembles über Ruth Berlau.

Festival
04.03.2021

Weibliche Seelenzustände und Entfremdung: Was das Brechtfestival bietet

Von Alois Knoller

Warum opferte sich Ruth Berlau für Bertold Brecht auf? Ein Theaterabend gibt eine Antwort und erklärt, wie sich der Schriftsteller von seiner Frau entfremdete.

Sie musste aus Brechts Leben verschwinden. Die Dänin Ruth Berlau war ihm lästig geworden. „Du hast mich fünf Jahre meines Lebens gekostet!“, hielt er der Fotografin und Autorin vor, als er wieder nach Berlin zurückkehren konnte. Aber Ruth hing weiterhin an Bertolt. Was hat sie derart hörig gemacht? Auf Spurensuche begab sich das Augsburger theter-Ensemble in seiner Inszenierung für das Brechtfestival, das den Mittwochabend eröffnete.

Die eigensinnige Frau hat die beiden Autorinnen Iris Schmidt und Marion Alber neugierig gemacht, und sie entschieden sich für eine biografische Collage. Ruth sollte über Ruth erzählen. Auch wenn das szenisch nicht allzu viel hergibt, entsteht doch ein dichtes Lebensbild über die „rote Ruth“, die so oft in Flammen stand. Für den Marxismus, für die spanischen Revolutionäre, für den Theatermann Brecht. „Das Dach stürzt ein und ich fühle, dass ich brenne“, sollte ein Leitwort ihrer Existenz werden. Daria Welsch, Sophia Planckh und Paul Böhme setzen sich abwechselnd auf den Hocker und geben ihre Stimme der Berlau – informativ, emotional, intellektuell und flehentlich.

Charlotte Brandi hat für das Brechtfestival im Textilmuseum aufgenommen

Die Entfremdung beginnt, als sie Brecht 1944 ihre Schwangerschaft verheimlicht und der gemeinsame Sohn wenige Tage nach der Geburt stirbt. Berlau ist nervlich am Ende. Brecht meidet sie. Plötzlich ist die Szene schwarz. Die Landschaft wird verschneit und eisig. Ruth entzieht sich einem abschließenden Urteil. „Sie zu erfassen und zu begreifen ist schwierig“, schlussfolgert theter.

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Foto: Brechtfestival
Foto: Brechtfestival

Die Schauspielerin Corinna Harfouch stellte Bertolt Brechts "Die Mutter" dem "Tagebuch einer Fabrikarbeiterin" von Simone Weil gegenüber.

Charlotte Brandi legt das Lebensgefühl junger Frauen in ihre Balladen. Im Textilmuseum hat sie mit ihrer Band eine exklusive Session für das Brechtfestival aufgenommen. Über die Lippen kommt ihr garantiert keine Silbe von B.B., aber sie liegt poetisch auf seiner Spur und lotet die widersprüchlichen Seelenzustände aus. Vom Fortgehen aus Schmerz und Verzweiflung – „und doch hab ich die Hoffnung nie verloren“. Der Gitarrensound jagt dem Zuhörer Schauer über den Rücken, so wehmütig und widerspenstig zugleich klingt er. Melancholisch betrachtet sie das Verhältnis eines Paares, das den Rausch der Verliebtheit hinter sich hat. Fleischlose Wesen seien sie nun, „und ich träume fast jede Nacht davon, wie wir waren“.

Brechtfestival: Die derbe Seite von Brecht wird herausgekehrt

Die Lust am Leben geht dennoch nicht verloren. Versonnen kreist eine schwärmerische Pianoballade um einen fiktiven Briefpartner: „Schreib mir!“ Die pubertären Verwirrtheiten schlagen durch in einer energischen Pianoballade: Keiner der Jungs mag sie, weil sie ein Mädchen ist. Man lässt sie zurück in ihrer kalten Nacht. Aufbegehrender Puls liegt in der Musik, das Schlagzeug und die Gitarren treiben an. Charlotte Brandi beschwört schließlich ihr Publikum: „Wir brauchen uns ganz heimlich / uns alle ganz wahrscheinlich.“

Vielleicht nicht in dem rohen Sinne von Ben Hartmann und Johannes Aue. Sie kehren in der Late-Night-Show die derbe Seite von Brecht heraus. Sexuelle Ausschweifung wird zum Ort der Erkenntnis. In der natürlichsten Sprache gelangen Lust wie Tod in den Blick. Tiefgründig wird hier geblödelt nach dem Motto: „Die schlimmsten Leute sind die klugen Leute.“ Die beiden Schauspieler gerieren sich als U-Boote der bürgerlichen Verlogenheit. Unter dem Wohlwollen der Mächtigen setzen sie ein Denkmal ihrer anarchistischen Triebe. Das sei nun einmal der Widerspruch des Künstlers, seine Hurerei frei nach der Berliner Schnauze: „Freiheit ist ’ne Hure und ich bin ihr Kind.“

Als harmloser, etwas selbstverliebter Plauderer erwies sich indes Frank Wolff. „Tanz den Brecht“ sollte sein Thema sein. Ersticke ihn mit wohlfeilen Worten, hieß das Ergebnis. Die wenigen Male, wenn der Maestro sein Cello glucksen und keckern lässt, schluchzen und jaulen, singen und swingen, mögen als Beweis seines Könnens genügen. Lange 20 Filmminuten füllen sie nicht.

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