Als im März der Corona-Lockdown kam, war das auch für Rainer Kaiser ein schwerer Schlag. Von einem Tag auf den anderen musste der Künstler, der zusammen mit Helmut Kollmann die Freie Kunst Akademie Augsburg betreibt, die Türen schließen. Der breit gefächerte Kursbetrieb – ursprünglich sollten im Laufe dieses Jahres weit über hundert künstlerische Seminare mit dutzenden Dozenten in den Räumen der Benediktinerabtei St. Stephan stattfinden – musste auf Eis gelegt werden. Rainer Kaiser bekennt freimütig, dass die Akademie alsbald in finanzielle Schräglage geriet.
In dieser Situation erreichte den 59-Jährigen, der stets selbst eine ganze Reihe von Kursen anbietet, die Idee einer treuen Akademie-Besucherin: Weshalb es nicht einmal online versuchen? Kaisers spontane Reaktion: Das kann nicht funktionieren! – da doch gerade bei der Fortbildung im künstlerischen Bereich der Erfolg ganz wesentlich vom direkten Kontakt abhängt.
Aber es gab noch weitere Stimmen, die zu Online-Seminaren rieten, sodass Kaiser schließlich seine Skepsis beiseiteschob. "Und tatsächlich, schon der erste Versuch klappte." Inzwischen hat er als Dozent bereits mehrere solcher Kurse hinter sich. Und sagt: "Letztendlich waren die Kurse auch unsere finanzielle Rettung."
Die Online-Kurse finden in Kaisers Atelier statt, einer typischen Künstlerwerkstatt
Vergangene Woche in Kaisers Atelier in der Akademie: Eine typische Künstlerwerkstatt, indirektes Licht flutet in den weitläufigen Raum, der Boden ist übersät mit Klecksen; Bilder und Rahmen stehen zuhauf herum. Der Künstler sitzt an einem großen Tisch, vor sich ein aufgeklappter Laptop.
Es ist kurz vor zehn am Vormittag, gleich geht die Online-Unterweisung zum Thema "Experimenteller Siebdruck" los, und Kaiser klickt sich schon einmal durch die Aufnahmen der Arbeiten, die die Kursteilnehmer seit der letzten Sitzung zustande gebracht und online gestellt haben. Dann loggen sich auch schon die elf Kursteilnehmerinnen und der einzige Mann im Verbund in die Videokonferenz ein. Es geht los.
"Was ich gesehen habe, hat mich ziemlich begeistert", sagt Rainer Kaiser und sorgt gleich für gute Laune in der Runde der ambitionierten Laienkünstler, die jetzt vor ihren Computern in Berlin, im Schwarzwald und anderswo in Deutschland, aber auch in der Schweiz und in Holland sitzen. "Gibt es Fragen?"
Die Teilnehmer schätzen die virtuelle Unterweisung der Freien Kunst Akademie Augsburg
Und ob es die gibt! Die Dame aus Holland schildert, weshalb sie nicht so recht zufrieden ist mit ihrem Ergebnis. Kaiser hört zu, nickt mit dem Kopf – "dein Sieb hat zuviel Licht abbekommen", lautet seine Diagnose. Eine andere aus dem Kreis beklagt, dass die aufgetragene Emulsion abblättere – Anzeichen für zu wenig Licht und zu geringes Aushärten, ist Kaiser überzeugt. Um die richtige Dosis Licht bei der Herstellung der Siebe wird es noch oft in den Gesprächen an diesem dritten Tag des Kurses gehen.
Eifer und Ernsthaftigkeit der Dialoge scheinen zu bestätigen, was Rainer Kaiser schon vor der Konferenz beschrieben hatte: Die virtuelle Unterweisung wird von den Teilnehmern alles andere denn als Corona-Schwundstufe einer Präsenzveranstaltung wahrgenommen. Woran das liegt? Kaiser weist darauf hin, dass es für die Teilnehmer durchaus von Vorteil sei, wenn sie zu Hause in ihrer gewohnten Atelier-Umgebung tätig sein können. Dass während des einwöchigen Kurses kein Kopf an Kopf stattfinde, sei zu verschmerzen, zumal die Teilnehmer durch Social-Media-Gruppen regen Austausch miteinander pflegten. Selbst der wichtige Aspekt der Euphorisierung durch ansteigendes Können, normalerweise ein Effekt gut geführter Meisterkurse, könne sich in den eigenen vier Wänden einstellen. Verblüfft hat Rainer Kaiser, "dass gerade auch die technischen Kurse funktionieren" – Kurse mit ausgeprägt handwerklicher Seite wie derjenige rund um den Siebdruck.
Der Kursleiter hier vor dem Laptop in seinem Atelier ist aber auch ein geduldiger Erklärer, feinsinniger Motivator und entschiedener Kritiker. "Super Blätter", lobt er die Arbeiten einer Teilnehmerin, als es an das Besprechen einzelner Arbeiten geht. Woraufhin zur Antwort kommt: "Ich habe das Gefühl, da fehlt noch was …" "Bloß nicht", hält Kaiser dagegen. Die Frau insistiert: Doch nicht lieber ein bisschen Hellblau in das Grau? Kaiser, noch eine Spur entschiedener: "Ich würde abraten."
Nebeneinander in Corona-Zeiten: Inzwischen finden auch wieder Präsenzkurse an der Freien Kunst Akademie statt
Inzwischen finden an der Freien Kunst Akademie auch wieder Präsenzkurse statt. Trotzdem, sagt Kaiser, werden weiterhin Online-Seminare im Angebot sein. Nicht nur, weil die Nachfrage besteht – noch ist die Pandemie ja nicht ausgestanden, noch will nicht jeder mit unbekannten Menschen zusammenkommen. Und auch die reduzierten Gebühren der Online-Kurse sind ein Aspekt.
Rainer Kaiser ist daneben längst auch von den künstlerischen Ergebnissen der virtuellen Vermittlung überzeugt. Rund ein halbes Dutzend Kurse sind derzeit im Angebot der freien Kunst Akademie. Zudem scheint es nicht so zu sein, dass diese sich damit – einmal online, immer online – selbst kannibalisiert. Kaiser erzählt, ein Teilnehmer aus Berlin, der bisher nur über den Computer eingeklinkt war, beabsichtige inzwischen, für eine künftige Unterweisung die Reise in den Süden anzutreten.
Und trotzdem, wirklich rundum kann das "Webinar" den klassischen Kurs im atmosphärisch-konzentrierten Umfeld der Abtei St. Stephan doch nicht ersetzen. So sehr Teilnehmer die Online-Kurse auch loben, wie im Web-Gästebuch der Akademie nachzulesen ist: Der "Cappuccino Service" des Präsenzangebots, klagt augenzwinkernd eine Schreiberin, lässt sich auf virtuellen Wegen leider nicht herbeiführen.
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