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Don Giovanni: Hier rührt sich etwas hormonell

Don Giovanni

Hier rührt sich etwas hormonell

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    Don Giovanni am Augsburger Theater.
    Don Giovanni am Augsburger Theater. Foto: A. T. Schaefer/Theater Augsburg

    Gerne ist im Zusammenhang mit dem Don Giovanni die Rede davon, dass er 1003 Frauen vernascht habe. Das allerdings bleibt nicht einmal die Hälfte der Wahrheit, sondern ein wie so oft aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat. 1003 Frauen waren es allein in Spanien, dazu kommen noch die aus Italien, Deutschland, Frankreich und der Türkei. Macht summa summarum 2065. Nicht schlecht, mein Specht, würde der Stammtisch kommentieren. Da muss sich einer ranhalten im Leben.

    Weil es nun aber einmal so war – Leporellos Taschenkalender verbürgt es –, bleibt es auch nicht verwunderlich, dass im neuen Augsburger „Don Giovanni“, der jetzt die Musiktheater-Spielzeit im Großen Haus eröffnete, erheblich mehr als üblich auf der Opernbühne geknutscht und gefummelt wird. Zur düsteren d-Moll-Ouvertüre schon packt sich „Don Giovanni“ gewaltsam einen Rock als Beute; und im Folgenden wird das Auditorium regelmäßig Zeuge, wie andersherum – gegen Schmeicheleien – die Damenwelt schwach wird und durchaus anbahnenden körperlichen Kontakt zu dem Wüstling sucht. In dieser Lesart von Mozarts heiterem Drama, in dieser Interpretation von leicht verführbaren Frauen, ergeben sich dann logischerweise faustdicke Schwindeleien: Weder Donna Anna noch Zerlina berichten ihrem jeweiligen Bräutigam den vollen Umfang des zwischen ihnen und Don Giovanni Vorgefallenen. Es war da eben doch mehr als behauptet . . . Es gab da eben doch ein Entgegenkommen . . .

    Milchiges Licht, feiner Sprühregen

    Und bis Don Giovanni final im Leinentuch zu Grabe gelegt wird, also nicht herkömmlich zur Hölle fährt, kommt bei ihm noch so manche namenlose Schöne dazu – und zwar neben Elviras Zofe, die endlich auch einmal einen (poussierenden) Bühnenauftritt erhält. Es rührt sich also hormonell etwas an diesem dreieinhalbstündigen Augsburger Abend, der hochgerechnet somit auch die Zahl 2065 beglaubigt.

    Dafür, dass der Regisseur Günther Rennert einmal erklärt hat, der „Don Giovanni“ könne kaum jemals „richtig“ inszeniert werden, dafür hat nun in Augsburg Patrick Kinmonth – in Personalunion zuständig für Regie und Ausstattung – ziemlich viel richtig gemacht. Man kann ihm – bedingt – vorhalten, dass er die „Don-Giovanni“-Konventionen gediegen fortgeführt hat (und zwar im geschmackvollen und todeslastigen Geiste von Jean-Pierre Ponnelle). Man muss ihm aber gleichzeitig auch attestieren, dass er eben dies im Bühnenbild sowie in der attraktiven Kostüm-Kollektion augenverführerisch stilvoll und edel tut.

    Das milchig-dunstige Licht und der feine Sprühregen, die auf den Handlungsort Venedig fallen; das Denk- und Grabmal für den Komtur, das in schwerer Materialität aus einem Bassin aufragt; die linnenen und seidenen Tücher für Chor und Protagonisten: Das alles zaubert – zusammen mit einem immer wieder agierenden Allegorie-Tod – schon außerordentlich viel pittoreske Atmosphäre her, auch wenn es ein wenig prätentiös wirkt, dass sich die Darsteller im besagten Bassin so häufig nasse Füße im nichtübertragenen Sinn holen müssen.

    Dirk Kaftan ruft die neue Natürlichkeit aus

    Wesentlicher aber bleibt: die plausible, schlüssige, kluge und vitalisierte Personenregie von Patrick Kinmonth. Er hat sich über die zurückliegenden und aktuellen Beziehungen zwischen den handelnden Personen erkennbar Gedanken gemacht, anscheinend vorurteilslos. Und so steigt Bauernführer Masetto hier zum vornehmen Stadtbürger auf. Und so begibt sich auch an diesem lang gefeierten Premierenabend ein meist überraschendes, lebendiges, spannungsgeladenes Qui pro quo.

    Wenn etwas noch über die Leistungen von Patrick Kinmonth zu stellen ist, dann die von Generalmusikdirektor Dirk Kaftan am Pult vor den so feinsinnig wie vibrierend musizierenden Augsburger Philharmonikern. Es ist, als rufe Kaftan dort eine neue Natürlichkeit aus, einen neuen organischen Fluss der Partitur. Kein extravagantes Tempo wird hier angeschlagen, um sich originell abzusetzen von der zelebrierenden oder vulkanösen „Don-Giovanni“-Konkurrenz, nichts, was da eilen oder schleppen würde. Stattdessen: sangbare Tempi, die das Ensemble und der Chor (Einstudierung: Karl Andreas Mehling sowie Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek) zu vielen unter dem Strich eindringlichen Nummern nutzten.

    Die Königin der Premiere, das war Sophia Brommer als Donna Anna – nicht weil sie jüngst einen ARD-Preis geholt hat, sondern weil sie infolge dieses Preises einen hörbaren Selbstbewusstseins-Schub erhalten hat. Plötzlich legt ihr Sopran noch einmal an Intensität und Charakteristik zu. Klasse. Die Kehrseite: Nur noch diese Saison wird sie festes Ensemblemitglied am Theater Augsburg bleiben.

    Wie wohl kommt der Chinese nach Europa?

    Überhaupt waren die Frauen an diesem Abend (nicht zum ersten Mal) besser aufgestellt: glockenklar und jugendlich Cathrin Lange als Zerlina; tragisch umflort, aber nicht gestochen scharf Stephanie Hampl als Elvira. Giulio Alvise Caselli in der Titelrolle gefiel durch einen weichen, hellen Bariton, den man sich aber auch für diesen Part viril-markanter hätte vorstellen können. Dong-Hwan Lee als chinesischer Gastarbeiter-Diener Leporello – wurde er durch die Jesuiten zur Auswanderung nach Europa animiert? – besaß fast mehr Aplomb. Nur in der Tiefe etwas matt: Christopher Busietta (Ottavio). Alle zusammen aber – auch Jan Friedrich Eggers (Masetto), Vladislav Solodyagin (Komtur) und Erich Payer (Der Tod) – konnten nach der Scena ultima ein ausgedehntes Applaus-Vollbad nehmen.

    Dieser „Don Giovanni“ traf ins Herz des Publikums. Die Messlatte für die beginnende Saison liegt ziemlich hoch.

    Weitere Aufführungen 12., 14., 19. und 26. Oktober, 8., 11. November

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