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Dokumentation: Brot - ein Stoff, der mehr ist als Mehl, Wasser und Salz

Dokumentation

Brot - ein Stoff, der mehr ist als Mehl, Wasser und Salz

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    Brot ist nicht gleich Brot, man kann es sogar riecehn: Szene aus den Harald Friedls filmischer Dokumentation „Brot“.
    Brot ist nicht gleich Brot, man kann es sogar riecehn: Szene aus den Harald Friedls filmischer Dokumentation „Brot“. Foto: Realfiction

    Der muskulöse Torso in Schwarzweiß umfasst lasziv eine vor ihm stehende Riesentoastbrottüte und schiebt die Plastikhülle langsam nach unten. Er nimmt den halben Meter weiße Toastscheiben zwischen beide Hände, drückt sie mit einer einzigen Bewegung auf Faustgröße zusammen. Eigentlich ist mit diesem Intro schon klar, wohin die Filmreise in „Brot“ geht. Hightechindustrie contra Handwerk, Gewinn und Börsenhandel statt regionaler Produktionsabläufe, Aromen statt Fachkräfte, die am Sauerteig riechen.

    Doch die kurze Einstiegsszene täuscht. Über weite Längen bleibt der Dokumentarfilm, für den Regisseur Harald Friedl durch Österreich, Rumänien, Amerika, Belgien und Deutschland reiste, neutral. Mit intensiven Bildern und starken Männer- und Frauentypen führt er die 85 Zuschauer im Mephisto durch die Welt des Öko-Betriebs Öfferl, durch die Fabrik von Harry-Brot, durch die weltweit einzige Sauerteig-Bibliothek im belgischen St. Vith und durch eine traditionelle Pariser Straßenboulangerie. Mit einer Mischung aus investigativer Recherche und viel Anspruch an Dramaturgie, Kamera- und Schnittführung taucht der Film bis in die Hinterzimmer einer geheimnisvollen Branche.

    Von der Urmutter zu den Teig-Kindern

    Hinter einer Idylle mit Zwiebelkirchturm und Weizenähren geht es zu Familie Öfferl, die ihre exklusive Bäckerei im österreichischen Weinviertel betreibt. Beim Bauern begutachtet Junior Georg Öfferl die Ähren des Jahres, fragt sich durch die angebauten Sorten, bevor er kauft. Vater Öfferl wälzt die Teige im Bottich um. Bis zu den Schultern verschwinden seine Arme in der Masse. Mit der „Urmutter“ ihres Sauerteigs arbeiten sie seit 20 Jahren. Die Öfferls kennen ihre Mikroorganismen und Enzymen und fühlen, wann die Teig-„Kinder“ die richtige Konsistenz haben. 72 Stunden dauert es, bis so ein neuer Bottich reif ist. „Das ist Handwerk. Ende der 90er Jahre kamen die künstlichen Brotverbesserer auf, alles schmeckte gleich. Auch bei uns. Das wollte ich ändern.“ Ein Überzeugungstäter.

    Doch auch die Protagonisten der Industrie verströmen eine unbändige Lust an ihren Professionen. Hans-Jochen Holthausen ist ein Brot-Baron. Davon gab es vor 30 Jahren noch etwa 40, der Markt tat seine Pflicht, heute spielen da nur noch ein halbes Dutzend Firmen mit. Seine Industriebäckerei Harry setzt eine Milliarde Euro im Jahr um. Persönlich inspiziert er in Schutzkleidung die Produktionsstraßen. 5000 bis 7000 Semmeln pro Stunde, diese dann saftig und crispig, so soll es sein. Es geht um Zeit, Innovation und Wachstum, erklärt er. Zusatzstoffe richteten sich „nach den Qualitätserwartungen der Endverbraucher“.

    Ein Register für Zusatzstoffe

    Visueller Höhepunkt sind die Glasregale des Sauerteig-Archivs von Karl de Smedt. Mit Finanzierung des Zusatzstoffherstellers Purato Group hat der bärtige, agile Bäckermeister ein Register mit 118 Sauerteigen aus 21 Ländern aufgebaut. Die Mikroorganismen werden analysiert und, so der Archivar, chemisch, auf Enzymbasis, reproduziert. Die Purato Group betreibt in 56 Ländern 53 Fabriken, in denen sich die lokalen Brothersteller deren Enzym-Mixturen für Geschmack, Geruch und Konsistenz zusammenstellen. „Vor 20 Jahren kannte außer den Italienern niemand Ciabatta. Durch uns kennt es jetzt jeder“, erklärt Karl de Smedt den Erfolg begeistert.

    Ohne die Protagonisten gegeneinander auszuspielen oder mittels Kommentarfunktion selbst die Deutung zu übernehmen, gewinnt Harald Friedls Film nach zwei Dritteln seiner 90 Minuten dramatisch an Tempo. Die Wissenschaft erklärt die Wirkungen von Pestiziden: Störungen im Hormonhaushalt, Fettzellenwachstum, veränderte Gehirnzellen wurden nachgewiesen. Schnitt. Auf der Münchener Bäckermesse wirbt ein Vertreter für Industrie 4.0, für „Produktauthentizität“, „Schnittfähigkeits-Module“ und preist Frische-Enzyme an, die die „Kundentoleranz“ gegenüber altem Brot vergrößern. Es ist ein Kulturkampf ums Brot im Gange. Und ein bisschen auch ein klassischer David-gegen-Goliath-Konflikt.

    Unter den Film-Zuschauern im Mephisto-Kino sind auch regional orientierte Bäckereien vertreten. Die Inhaber Johannes Knoll und Georg Schneider etwa sitzen im Publikum. Beide Bäckereien sind jeweils seit über 100 Jahren in der Region am Markt. Hoffnungen äußert Andre Heuck, Inhaber der 2018 gegründeten Spezialbäckerei Cumpanum, im Gespräch mit dem anwesenden Regisseur Harald Friedl: „Ich glaube, die Menschen steigen um, und ich sehe eine Bewegung zu mehr Verbindlichkeit gegenüber regionalen Bauern.“

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