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Friedensfest: Die Freiheit der Hingabe

Friedensfest

Die Freiheit der Hingabe

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    Autoren und Moderatoren (von links) Christoph Peters, Sibylle Lewitscharoff, Nico Fried, Kathrin Röggla – und Stephanie Waldow für die Universität. Als zweiter Veranstalter nicht im Bild: Sebastian Seidel vom Sensemble-Theater.
    Autoren und Moderatoren (von links) Christoph Peters, Sibylle Lewitscharoff, Nico Fried, Kathrin Röggla – und Stephanie Waldow für die Universität. Als zweiter Veranstalter nicht im Bild: Sebastian Seidel vom Sensemble-Theater. Foto: Michael Hochgemuth

    „Was bringt einen 13-Jährigen in einem katholischen Jungen-Internat dazu, plötzliche alle seine Platten zu verkaufen und mit dem Sammeln von japanischen Keramik-Tee-Servicen zu beginnen?“ Das kann wohl nur die Idee eines Schriftstellers auf der Suche nach einer möglichst originellen Figur sein. Aber nein, der Schriftsteller antwortet auf die Frage selbst: „Ich weiß es nicht.“

    Denn dieser rätselhaft verwandelte Charakter, das ist er selbst. Hat inzwischen auch schon ein Buch über die klassisch japanische Tee-Zeremonie geschrieben. Und liest nun aus einem anderen vor, in dem ein heiliger Zen-Meister spricht, der zugleich ein schwer krimineller Yakuza-Killer ist. Spricht voller Inbrunst über Ästhetik und Gewalt, diese Ambivalenz. Und davon, wie das Blut beim Abschlagen eines Kopfes in alten japanischen Filmen wie Action-Painting an die Wand spritzt. Sagt: „Wofür wir leben und wofür wir töten würden – das interessiert mich!“

    Worum es hier geht? Nun, eigentlich soll es um Freiheit gehen. Denn das hier ist Teil des Augsburger Friedensfestes, das ja unter diesem Motto steht. Es ist Montagabend in der Stadtbücherei, zum zweiten Mal finden in diesem Rahmen die „Augsburger Gespräche zu Literatur und Engagement“ statt: Autorinnen und Autoren sprechen zweieinhalb Tage miteinander und mit Studenten – und drei von ihnen für gut eineinhalb Stunden hier auf einem öffentlichen Podium. 70, 80 Zuhörer sind da, gut gefüllt ist der Saal also. Mit Christoph Peters und Kathrin Röggla und vor allem Sibylle Lewitscharoff sitzen ja auch ziemlich prominente Schriftsteller dort oben – und ziemlich bedeutend tönen zudem die Themen: Frieden und Freiheit, der Künstler und die Gesellschaft. Bloß eben, dass es darum letztlich gar nicht geht.

    Als Moderierende nehmen das Journalist Nico Fried und Literatur-Professorin Stephanie Waldow relativ widerstandslos hin, nur eine der zahlreichen Publikumsfragen versucht die Rückführung. Die geht an Sibylle Lewitscharoff, die soeben in freier Rede von ihrem eben fertig gewordenen Roman erzählt hat (der am 9. September unter dem Titel „Von oben“ erscheint): Es ist die Reise eines Gestorbenen über Berlin, der per „Seelendrift“ an Orte gerät, die ihm in einer weltlichen Form des Jüngsten Gerichts sein Wirken auf Erden vor Augen führt. Großartig, wie Lewitscharoff etwa schildert, dass für eine Szene ein Freund für sie ein anonymisiertes Interview mit der Betreiberin eines Hardcore-Sex-Schuppens für Frauen geführt habe. Und wie immer mit herrlicher Wucht, wie diese Autorin hier als Religionswissenschaftlerin über „die Problematik unendlicher Flauheit der Kirche“ spricht und den „verkargten Realismus“ der deutschen Nachkriegsliteratur. Aber auf die Frage nach „Literatur und Engagement“ erzählt sie eben einfach nur noch eine Szene aus dem Roman. Und zur Freiheit fällt ihr nur ein, dass sie für sie mit einem Mann als Hauptfigur („da kann ich machen, was ich will“) größer sei als mit einer Frau (beim eigenen Geschlecht sei die Scham größer). Was ziemlich spannend ist, aber halt auch nirgends hinführt.

    Und bei Kathrin Röggla? Die liest Passagen aus einem gerade entstehenden Roman. Und dessen Basis immerhin ist die Dokumentation des NSU-Prozesses in München, aus der sie sich herausschreiben will, um das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu erfassen. Weil – „verdammt noch mal“, sagt sie – das sei ja eben nicht zu Ende mit den „braunen Zellen“: „Wir werden damit noch sehr oft konfrontiert sein.“ Die gebürtige Österreicherin, die inzwischen wie ihre beiden Kollegen auch in Berlin lebt, birst fast vor Engagement in ihrer Rede wie wohl in ihrer Literatur. Und auch das ist ziemlich spannend. Wirkt aber eigentlich nur noch wie Zufall zwischen Lewitscharoffs Levitation und dem Yakuza-Zen, der dann von Christoph Peters noch folgte.

    Denn während Kathrin Röggla feststellt, dass sie zwei Möglichkeiten für ihren Roman nicht sehe: Der NSU-Prozess könne selbstverständlich nicht anders ausgehen und sie könne sich nicht anmaßen, aus der Sicht von Opfern oder Hinterbliebenen zu schreiben. Eine große Freiheit leuchtet doch über allem an diesem Literaturabend: Es die Freiheit, die für diese Autoren in der Hingabe an ihre jeweils ganz eigenen Geschichten liegt. Und das war stark.

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