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Der Rathausplatz: Vom Eier- zum Christkindlesmarkt

Der Rathausplatz

Vom Eier- zum Christkindlesmarkt

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    1961 war eine riesige Baugrube ausgehoben. Das Bauvorhaben wurde 1962 gestoppt, das weite Areal sollte „vorläufig“ frei bleiben und gepflastert werden.
    1961 war eine riesige Baugrube ausgehoben. Das Bauvorhaben wurde 1962 gestoppt, das weite Areal sollte „vorläufig“ frei bleiben und gepflastert werden.

    Jüngere Generationen sind überwiegend der Meinung, den riesigen Rathausplatz gebe es schon seit Jahrhunderten. Doch der 3750 Quadratmeter große Platz ist noch relativ jung: Es gibt ihn erst seit 1963. Seit diesem Jahr findet darauf auch der Christkindlesmarkt statt – derzeit zum 56. Mal.

    Ursprünglich lag gegenüber dem Perlachturm ein relativ kleiner dreieckiger Platz, den der Augustusbrunnen beherrschte. Zu Reichsstadtzeiten hieß er Perlachplatz, ab 1806 Ludwigsplatz. Wie es darauf bis zum Oktober 1930 an Wochenmarkttagen viermal pro Woche zuging, ist kaum noch vorstellbar: Der Ludwigsplatz war Marktplatz für Butter und Schmalz, lebende und geschlachtete Tauben, Hühner, Gänse, Truthähne und Eier. Nicht von ungefähr hieß der Bereich im Volksmund „Eiermarkt“.

    Die Viktualien wurden an jedem Markttag aus der Region von den Erzeugern angeliefert und direkt an Verbraucher verkauft. Händler durften erst ab elf Uhr auf dem Markt auftauchen und Restware aufkaufen. Marktbeginn war um sechs Uhr morgens. Manche Marktbeschicker waren bereits um Mitternacht zu Hause aufgebrochen. Ursprünglich kamen sie per Fuhrwerk, zu Fuß mit einem Handwagen oder einer Kraxe auf dem Rücken. Mit Beginn des Auto-Zeitalters fuhren Lastwagen die Dörfer ab, sammelten die Marktfrauen auf und brachten sie mit ihrer Ware ins Zentrum von Augsburg. Am Freitag, 10. Oktober 1930, fand der letzte Wochenmarkt auf Straßen und Plätzen statt: Seither ist der Stadtmarkt Augsburgs zentrales Marktgelände.

    Im Februar 1944 ging ein Bombenhagel auf das Stadtzentrum nieder. Das Rathaus, die Börse gegenüber und der damit verbundene Gebäudekomplex brannten. Augustus und die Brunnenbronzen waren in Sicherheit gebracht, das leere Brunnenbecken war von Schutt umgeben. Die Ruinen wurden bis Ende 1950 mit Ausnahme des intakten Erdgeschosses des einstigen Börsengebäudes beseitigt und der Augustusbrunnen wieder am alten Standort platziert.

    Augsburgs Architekten machten sich seit Kriegsende Gedanken darüber, wie das Areal gegenüber dem Rathaus neu gestaltet werden könnte. 1954 wurde ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. 162 Vorschläge gingen ein, im Mai 1956 bekamen die Augsburger in einer Ausstellung Modelle und Pläne für die Neubebauung zu sehen. Doch weder die Fachjuroren noch die Augsburger Bevölkerung konnten sich für einen der Bauvorschläge erwärmen. Derweil erarbeitete Stadtbaurat Walther Schmidt einen Entwurf für eine Zentrale der Stadtsparkasse als modernes Gegenüber des historischen Rathauses. Es sollte der einzige Neubau auf der Fläche werden.

    1800 Quadratmeter waren als Baugrund vorgesehen. Das ist fast die Hälfte der heutigen Pflasterfläche. Am 5. November 1958 stimmte der Stadtrat den Plänen zu. Die Teilbebauung hätte einen quadratischen, rund 2000 Quadratmeter großen Platz übrig gelassen. Das gefiel sehr vielen nicht. Die Protestler aus allen Bevölkerungskreisen formierten sich und verfassten eine Denkschrift. Zu diesem Zeitpunkt ging es lediglich um die Größe und die Platzierung künftiger Gebäude. Dass das gesamte Areal völlig unbebaut bleiben könnte, daran dachten Ende 1958 nur wenige.

    Im April 1959 wurde die Idee eines „freien Rathausplatzes“ erstmals öffentlich geäußert. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Regierung die vorgesehenen Baulinien abgelehnt. Die Folge: Im September 1959 lagen geänderte Baupläne vor. Die Stadtregierung war immer noch fest entschlossen, den Bau der Stadtsparkassen-Zentrale aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen ausführen zu lassen. Am 25. August 1960 kaufte die Stadtsparkasse für rund 1,2 Millionen Mark Augsburgs damals teuersten Baugrund für 500 DM pro Quadratmeter.

    Sechs Wochen später begannen schließlich die Bauvorarbeiten: Der Augustusbrunnen wurde abgebaut, die letzten Ruinen abgebrochen und ein Bauzaun errichtet. Danach hoben Bagger eine riesige Baugrube aus.

    Nun war aus einiger Distanz ein ungehinderter Blick auf das Rathaus und den Perlachturm möglich. Dieser ungewohnte Anblick löste unter den Augsburgern einen „Aha-Effekt“ aus, der den Widerstand gegen das Bauvorhaben noch gewaltig verstärkte. Als am 26. November 1960 die Augsburger Allgemeine dazu aufrief, den freien Blick auf Rathaus und Perlachturm zu genießen, entwickelte sich eine wahre Protestwelle in der Bevölkerung.

    Das Komitee „Freier Rathausplatz“ startete eine Befragung per Stimmkarte. Das Echo war enorm: 55056 votierten für einen Baustopp, 1350 für einen Weiterbau. Architekten erarbeiten daraufhin sieben Pläne und Modelle, nach denen trotz Teilbebauung der freie Blick aufs Rathaus weitgehend erhalten geblieben wäre. Diese Vorschläge wurden 1962 in einer Ausstellung präsentiert. 12000 Besucher interessierten sich dafür.

    Die Stadt machte sich die Entscheidung nicht einfach und gab in Zürich ein städtebauliches Gutachten in Auftrag. Darin wurde zwar eine Randbebauung befürwortet, doch das allein an der Rendite orientierte Bauvorhaben abgelehnt. Die Stadträte revidierten im Oktober 1962 ihre Baugenehmigung und einigten sich auf einen Kompromiss: Der Platz bleibt „vorläufig“ unbebaut! Als Zwischenlösung soll er ansprechend gestaltet werden.

    Noch im November 1962 begann die Verfüllung der Baugrube. Im Oktober 1963 war die Pflasterung fertig. Wenige Wochen später wurden darauf erstmals 111 Stände für den Christkindlesmarkt aufgebaut. Seit 1965 gilt der Ratsbeschluss, an diesem weihnachtlichen „Marktplatz“ festzuhalten. Damit endete die Wanderschaft des Christkindlesmarktes. Er hatte von 1952 bis 1960 auf dem Elias-Holl-Platz, 1961 und 1962 entlang der Fuggerstraße stattgefunden.

    Frühere Folgen des Augsburg-Albums zum Nachlesen finden Sie im Online- Angebot unserer Zeitung unter

    www.augsburger-allgemeine.de/augsburg-album

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