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Der Besuch der alten Dame: Der Bürger stimmt für Mord

Der Besuch der alten Dame

Der Bürger stimmt für Mord

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    Der Bürger stimmt für Mord
    Der Bürger stimmt für Mord

    Sie zelebrieren gewissenlos und mit leerem Pathos den Selbstbetrug, reden von Idealen und Gerechtigkeit. Dann, nach demokratisch korrekter Abstimmung, morden sie – und legen ihr das Opfer zu Füßen. Die reiche alte Dame, der die Welt gehört, zahlt. Das war der Deal. Eine Milliarde. Der Mord an ihrem Mitbürger Alfred Ill hat die Bürger von Güllen reich gemacht.

    Jubilierend, kreischend, heulend in ihrem kollektiven Rausch aus Gier und Glückserwartung zählen sie die Nullen auf dem Scheck – außer sich wie die aufgekratzten Gewinner in den bunten Kulissen einer billigen TV-Castingshow.

    Mit diesem schrillen Schlussbild endet Fabian Alders Inszenierung des Bühnenklassikers „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt am Theater Augsburg. Der junge Regisseur, geboren 1981, ein Vierteljahrhundert nach der Uraufführung der Tragikkomödie, hat das Stück einerseits stark verschlankt, in dem er nicht wenig Text sowie viel Personal im Gefolge der Claire Zachanassian und unter den Bürgern Güllens gestrichen hat. Andererseits hat er Eigenes draufgesetzt, eingeschleust und umgetextet: Als überflüssige Krücke und als einen Akt des Misstrauens gegen Stück und eigene Inszenierung erweist sich das mäßig bösartige Referat über das Wesen des Kapitalismus, das Judith Bohle als Prolog des zweiten Akts vorträgt.

    Litanei auf den übergeschnappten Kapitalismus

    Wirksam funktioniert dagegen die dadaistische, marktschreierische Litanei über den Segen von ungezählt vielen Yogurtsorten, mit der in Güllen die aufziehenden güldenen Zeiten des Überflusses sich ankündigen. Diese vergiftete Ode auf den übergeschnappten Kapitalismus bringt Olga Nasfeter als Frau des Ladenbesitzers Ill – wie zuvor auch Toomas Täth für seine Turneinlage – Szenenapplaus ein.

    Dass sich einer Bewegungsfreiheit und Luft verschafft, um nicht zu ersticken unter der Last und dem Fünfziger-Jahre-Muff des tausendmal gespielten Schullektüre- und Theaterdenkmals, ist nachvollziehbar. Doch bei aller Frische des Bühnenspiels (Waldszene!) und vieler schlüssiger Ideen: Alder erwischt in seiner Inszenierung den genialen Sog und Kraftstrom der dichten Vorlage nicht. Zu unentschlossen und zu löchrig hat er das Drama um Moral und Gerechtigkeit, Verrat und Schwäche angelegt, zu sehr überzeichnet er. Während Dürrenmatt wie ein Spieler unerbittlich Zug um Zug bis zum Schachmatt vollführt, überspringt die Augsburger Premiere gerne Spielphasen.

    Ein Hang zur Überdosierung zieht sich durch den Abend. Das Groteske, das bei Dürrenmatt einen bitteren Nachgeschmack hat, verflüchtigt sich an der Oberfläche. Wie Alder fließende Szenenwechsel gestaltet und gekonnt die Möglichkeiten der kargen Bühne ausschöpft – Franziska Bornkamm baute eine Front von Stufen in der Art eines Amphitheaters –, dies vermag durchaus zu überzeugen. Doch leider agieren die Bürger von Güllen zu sehr als Karikaturen.

    Mit Witzfiguren, die „DingDong“ sagen, wenn sie den Laden betreten oder sich Rotz in den Nacken schmieren, muss sich niemand identifizieren. Frauen spielen Männer, Männer spielen Frauen: Alle sind austauschbar als Prototypen. Eberhard Peiker (Bürgermeister), Philipp von Mirbach (Lehrer), Judith Bohle (Polizist, Ills Tochter), Toomas Täht (Bürger, Turner) und Olga Nasfeter (Pfarrer, Ills Frau) legen sich, die Reihen fest geschlossen und viel im Chor sprechend, mächtig ins Zeug, um auf der riesigen Bühne die kollektive Verabredung der Bürgerschaft zum Verbrechen als Verführung der Masse zu zeigen.

    Doch die Regie übertreibt die Verfremdungseffekte. Groß ist die Lücke zu den ernsthaft gezeichneten Hauptrollen Claire Zachanassian und Alfred Ill. Sie wird von Eva Maria Keller kühl, desillusioniert, misanthropisch, herrisch, doch auch verletzbar, sentimental und am Ende allein mit der Leere ihres Triumphs gespielt. Er wird von Werner Galas differenziert im Prozess der Selbstläuterung, aber am Ende eine Spur zu abgeklärt dargestellt.

    Geld verdirbt den Charakter, Gier ist eine Säure, die das Gewissen und die Moral zersetzt: Das Stück passt noch immer gut in unsere konsumgeilen Zeiten. Dürrenmatt zeigt am Ende, wie mit dem Mord an Ill schon die Legendenbildung beginnt, wenn nämlich ein „Herztod“ zur Todesursache erklärt wird. Fabian Alder lässt das weg. Statt dessen lässt er Claire den Bürgermeister, dem sie den Scheck überreicht, einen „Mörder“ nennen. Ein unmotivierter finaler Schachzug in einer durchwachsenen Partie.

    Weitere Aufführungen 30. März, 2., 12., 15.April, 15., 16., 20., 26. Mai

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