„Der Raum der Musik ist der, den sie im Augenblick des Erklingens erschafft“, so schrieb Saxofonist und Labelmacher Norbert Stammberger über die freien Formen. Beim fünften Festival für improvisierte Musik Augsburg (FFIMA) in der Kresslesmühle schufen vier unterschiedlichste Formationen neuen Raum, jeweils mit ihrer ganz eigenen Herangehensweise an die freie Improvisation. Das verlangte sowohl den Künstlern als auch den Besuchern alles ab. Ließ man sich jedoch in die Musik fallen, erlebte man wie die Besatzung der Internationalen Raumstation ISS in ihrem permanenten freien Fall musikalische Schwerelosigkeit.
Das Cello knarzt wie eine alte Türe
Das extra für den Abend gegründete FFIMA String Quartet zeigte zu Beginn die Bandbreite ungewöhnlicher Klänge aus Kontrabass, Cello und Violinen. Die unorthodoxe Verwendung der Bögen ließen den Bass (Joseph Warner) fast wie ein brasilianisches Berimbau klingen, die Geigen (Bettina Behm & Verena Marisa) flirrten wie die Hitze über einer steinigen Einöde, das Cello (Juri Kannheiser) knarzte wie eine alte Türe. Die Streicher unterhielten sich in einer launigen Diskussion über neue Musik und zementierten die Ansicht der britischen Free-Jazz-Ikone Derek Bailey, dass man bei einer Improvisationsunterhaltung niemals einer Meinung sein darf, sonst wird es fad.
Fadheit war bei der Premiere von Concrete 4 ebenfalls nicht zu erwarten. Die Free Jazzer um Norbert Stammberger hatten vor, klanglichen Beton anzurühren. Doch mit grauen, öden Mauern hatte der herrliche Radau nichts zu tun – eher mit einem Kindergeburtstag von vier Freunden im Zuckerrausch, die sich alleine zu Hause nach Herzenslust austoben. Tilman Herpichböhm präpariert Becken mit Tape und spielt ein Plastikschwein, Stammberger verfremdet sein Baritonsaxophon per Pedal, Jan Kiesewetter brät nur mit Saxophonmundstück dazu und Erik Zwang-Eriksson lässt sein Schlagzeug klingen, als würde eine Schreibmaschine die Treppe herunterfallen. Intensivster freier Jazz; atonal und betonal.
Colossus of the Road, die Band um Das-Hobos-Akkustiker Leo Hopfinger (electronics) und Tom Simonetti (dr) wirken wie verrückte Ambient-Professoren, die im Klanglabor voller retrofuturistisch anmutender Maschinen unendliche kosmische Klangflächen erschaffen. Lange gehaltene Töne, versetzt mit gelegentlichen Störgeräuschen tragen die Zuhörer in immer höhere Sphären, bis man in aphex-twin-artigem Knarren und Brodeln in Zeitlupe wieder der Erde entgegenstürzt.
Dort warten dann FreeModalJazzThing, um ihren Namen nach langer Pause wieder auf die Bühne zu bringen: freien, modalen Jazz, ohne Korsett und ohne Grenzen. Die Saxofonisten Christian Buss und Kay Fischer zwitschern wie Vögel, die Diplomzerstörer Andi Rosskopf (g) und Girisha Fernando (b) gegen eine Glasscheibe fliegen lassen und dann orientierungslos unter Kilian Bühlers Hi-Hat-Zischen durch die Luft taumeln – bis die intergalaktische Reise durch die wundersamsten Ausprägungen der Musik gegen Mitternacht zu Ende war.