Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten
Feuilleton regional
Icon Pfeil nach unten

AZ-Literaturabend: Darüber sprach der rein virtuelle Literaturabend

AZ-Literaturabend

Darüber sprach der rein virtuelle Literaturabend

    • |
    Der digitale Literaturabend von Augsburger Allgemeine und Stadtbücherei: (von links) Marius Müller, Stefanie Wirsching und Kurt Idrizovic.
    Der digitale Literaturabend von Augsburger Allgemeine und Stadtbücherei: (von links) Marius Müller, Stefanie Wirsching und Kurt Idrizovic. Foto: Screenshot

    Für all die regelmäßigen Besuches des Literaturabends der Augsburger Allgemeinen und der Stadtbücherei ist nun klar: Die drei Kenner, die im literarischen Salon regelmäßig und teils auch hitzig miteinander diskutieren, können auch einer Meinung sein. An diesem Samstagabend, der coronabedingt unter besonderen Umständen stattfand, nämlich als rein digitale Veranstaltung, waren sie sich ausnahmsweise einig im Urteil über die drei aktuellen Bücher, die sie als beachtenswert eingeschätzt hatten. Stefanie Wirsching (Leiterin der Kultur- und Journalredaktion der Augsburger Allgemeinen), der Literatur-Blogger Marius Müller (Stadtteilbücherei Göggingen) und der Buchhändler Kurt Idrizovic (Buchhandlung am Obstmarkt) waren sich an dem Abend über weite Strecken einig, sie mussten sich nicht über Grundsätzliches streiten.

    Die drei Romane des Abends deckten ein weites Feld ab. Dort ein Krimi, der in den USA der 1950er Jahre spielte, hier ein Roman, der eines der heftig diskutierten Themen der Stunde behandelte: die Identitätspolitik. Dazu noch das neue Werk von T. C. Boyle, das grundsätzlich die Frage stellt, inwieweit sich Mensch und Menschenaffe unterscheiden.

    Einwände gab es - wenn überhaupt - zum Krimi "Maybelline" von Taylor Brown, den Marius Müller präsentierte. Für ihn ein gelungenes Buch über die USA der 1950er Jahre und den Drogen- und Alkoholschmuggel, ein gut gebauter Krimi. Das sah Kurt Idrizovic ähnlich, ein Buch, das genügend Spannung erzeuge, auch wenn es manchmal knapp an Klischees vorbeischramme. Einspruch in Form einer zwiegespaltenen Reaktion gab es von Stefanie Wirsching, die jenseits von Spannung und Krimi stilistische Mängel ausmachte, zu viele Adjektive, eine überbordende Sprache und einen Beschreibungsfuror, der entschlackt gehört hätte.

    Der Literaturabend spricht über den Roman der Stunde

    Danach ging es in der Stadtbücherei, die für diesen Literaturabend kurzerhand in ein Übertragungsstudio verwandelt worden war, um den "Roman der Stunde" (Marius Müller), wie die mehr als 200 Zuschauer schnell merken konnten. Stefanie Wirsching führte aus, was Mithu M. Sanyal in ihrem witzigen, aber vor allem hintersinnigen Debüt-Roman "Identitti" gelungen war. Darin fliegt eine gefeierte Professorin auf, die als Ikone der Postkolonialismus-Forschung gefeiert wird, bis sich herausstellt, dass diese sich fälschlicherweise als Inderin ausgibt, obwohl sie Deutsche ist. Es folgt ein Shitstorm und vor allem ein langes, langes Gespräch mit ihrer Lieblingsstudentin, mit dem Sanyal alle möglichen Aspekte der Debatten um Identität ausleuchtet. Etwa - wie Wirsching ausführte - warum nationale Zugehörigkeit nicht einfach per Sprechakt reklamiert werden kann, wie das die Trans-Bewegung für das Geschlecht des Menschen einfordert.

    Für Kurt Idrizovic ein anspruchsvolles Buch, das ihn an Diskussionen der eigenen Studentenzeit erinnert hat. Ein Buch, das keinesfalls als Bettlektüre bei schummrigem Licht gelesen werden dürfe, sondern unter dem Einfluss von Espresso, weil es den Leser fordert. Und Marius Müller stellte fest, dass es gerade schwer möglich sein dürfte, mit einem Roman näher an die Gegenwart heranzukommen.

    Einigkeit hier. Einigkeit dann auch über das neue Buch des US-amerikanischen Schriftstellers T. C. Boyle, der in "Sprich mit mir!" einen Schimpansen zu einem der drei Erzähler macht und darin große menschheitliche Fragen behandelt. "Ist der Mensch die Krone der Schöpfung? Da hat Boyle einen großen Wurf vorgelegt", sagte Kurt Idrizovic. Der Schimpanse Sam lernt in einem Experiment eine Gebärdensprache, fühlt sich zu Frauen hingezogen, vor allem zu einer Studentin. Boyle erzähle diese Geschichte spannend nach vorne, halte sich nicht lange mit Nebenhandlungen auf, führte Marius Müller aus. Und für Stefanie Wirsching - wie auch für die anderen - überzeugte auch die Affenperspektive, "auch wenn er damit grandios hätte scheitern können" (Idrizovic). Sei er aber nicht, im Gegenteil.

    Den Applaus des Publikums konnte man an dem digitalen Literaturabend nicht hören, sondern sehen: in Form von Emojis.

    Lesen Sie dazu auch unsere Buchempfehlungen des Frühjahrs: Tipps unserer Redaktion: Zehn Bücher für das Frühjahr

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden