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Foto: Deborah Uhde
Foto: Deborah Uhde

Ein Carola-Neher-Programm haben Karla Andrä und Josef Holzhauser neu zusammengestellt.

Premiere
01.10.2021

Carola Neher war die Verkörperung der modernen Schauspielerin

Von Claudia Knieß

Karla Andrä und Josef Holzhauser widmen ihren neuen Abend Carola Neher – einer großen Darstellerin mit einem viel zu kurzen Leben.

Die Neher war eine umwerfende Schauspielerin. Falls es nicht sofort ähnlich klick macht, wie wenn man von „der Dietrich“ liest, liegt das daran, dass Carola Nehers Leben und Karriere durch die beiden großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts tragisch endete. Von umjubelten Auftritten in der Weimarer Republik bis zum Typhus-Tod im sowjetischen Gulag blieben nur wenige ihrer 42 Lebensjahre, um als Star auf der Bühne und im Film zu glänzen. Da sie während ihrer kurzen Karriere aber auch berühmte Literaten als Partnerin und Muse verzauberte, widmen Karla Andrä und Josef Holzhauser Carola Neher nun ihr neues Programm. Und neu ist beim literarisch-musikalischen Duo „Text will Töne“ einiges.

Wer als Dreikäsehoch die erste Kindertheateraufführung von Karla Andrä und Josef Holzhauser besucht hat, ist heute um die 30 – ein gutes Alter für Neues, auf Seiten des Publikums wie beim „FaksTheater“. Komplett neu ist es nicht, dass das Künstlerpaar auch Projekte für Erwachsene in die Augsburger Kulturlandschaft einpflegt: Bei Kunstnächten, Brechtfestivals und weit über die Stadt hinaus waren sie als „Text will Töne“ unterwegs. Nun wollen sie ausschließlich für erwachsenes Publikum auftreten und haben den Corona-Wirrwarr genutzt, um neue Freiheiten zu entdecken: 1. machen, wofür sie brennen, 2. Multimedia, 3. Klavier. „Wir hoffen, unsere Fans gehen da mit, und neues Publikum entdeckt uns“, wünscht sich Andrä.

Beide Schauspielerinnen verbindet die alterslose Aura einer Kindfrau

Das Neher-Projekt liegt Karla Andrä aus vielerlei Gründen am Herzen, und wer sie begeistert erzählen hört und dann Carola Neher etwa als Polly Peachum in G.W. Pabsts „Dreigroschenoper“-Film anschaut, der ahnt warum: Beide Schauspielerinnen verbindet die wunderschöne, alterslose Aura einer Kindfrau, die sich nicht auf ihrer Ausstrahlung ausruht, sondern mit Klugheit, Witz und performerischer Kreativität das Publikum fesselt. Beider Stimmen sind sanft, aber mit Tiefe und Strahlkraft.

Kein Wunder also, dass Andrä begeistert war, als sie 2014 gemeinsam mit Josef Holzhausers Tochter Anna eine Ausstellung über Carola Neher im Münchner Theatermuseum besuchte – und Anna Holzhauser auf einem Foto von Nehers Enkelin die Tochter ihrer Klavierlehrerin erkannte. Für Familie Andrä-Holzhauser der Anfang einer spannenden Recherche mit noch einer großen Überraschung: Sie fanden heraus, dass Nehers Sohn Georg Becker 1974 aus der Sowjetunion nach Deutschland ausgewandert und ausgerechnet in Augsburg gelandet war, wo er als Dozent am Leopold-Mozart-Zentrum unterrichtete. Unter seinen Studenten in Gehörbildung: ein aufstrebender junger Musiker namens Josef Holzhauser.

Carola Neher hatte auf die Überwindung des Faschismus gehofft

Georg Becker erfuhr erst spät, wer seine Eltern waren. Als Zweijähriger kam er in Moskau in Pflegefamilien und Waisenhäuser, nachdem sein Vater Anatol Becker, Nehers Russisch-Lehrer, exekutiert und seine Mutter zu zehn Jahren Straflager verurteilt worden war, die sie nicht überlebte. Wie auch andere Künstler der Weimarer Republik, hatte Carola Neher in der kommunistischen Idee auf die Überwindung des Faschismus gehofft, stand Stalins Machtapparat jedoch nicht unkritisch gegenüber und wurde als angebliche Trotzkistin denunziert. Text will Töne wollen auch wegen ihrer tragischen Biografie an Carola Neher erinnern, sie aber nicht als Opfer stilisieren, sondern als große Künstlerin feiern: Aus einer musischen Münchner Familie stammend, wollte Neher schon als Kind zum Theater, musste aber erstmal eine Banklehre machen. Aus der lief sie buchstäblich davon ans Theater.

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Bertolt Brecht sah in ihr die Verkörperung der modernen Schauspielerin, engagierte sie in Berlin vom Fleck weg für sein episches Theater und schrieb u.a. die „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ für sie. Ein weitere großer Schriftsteller der Weimarer Jahre, Alfred Henschke alias Klabund, verliebte sich rasend in Carola Neher und heiratete sie. Von ihm, der vier Jahre später an Tuberkulose starb, stammen viele für Neher geschriebene oder von ihr inspirierte Gedichte und Theater-Figuren. „Wir haben einen doppelten Schatz gehoben“, erzählt Karla Andrä, „neben Carola Neher haben wir auch Klabund, der in der deutschen Literatur gar nicht mehr so präsent ist, für uns neu entdeckt.“

Das Programm feiert im Kulturhaus Abraxas Premiere

„Kleiner Vogel Kukuli“ heißt das Programm, das am Freitag, 1. Oktober, im Abraxas Premiere feiert - nicht etwa doch wieder ein Kinderstück, sondern Titel eines zärtlichen Klabund-Gedichtes an Neher. Weil Andrä und Holzhauser bei ihren Recherchen auch auf viel Bildmaterial stießen, gibt es bei Text will Töne erstmals multimediale Clips einer Videokünstlerin. Als drittes Novum wird Josef Holzhauser mit eigenen Kompositionen und Improvisationen diesmal auch am Klavier zu hören sein: „Klavier war mein erstes Instrument, aber ich habe es bisher nie beruflich gespielt“, erzählt der Mann, den man sich kaum ohne Gitarre vorstellen kann. „Deshalb bin ich auch jetzt ganz frei und nutze die Tasten intuitiv, um Klänge zu den Texten oder Videos zu entwickeln. Ein bisschen fließt vielleicht der damalige Zeitgeist ein, aber auf moderne Art und ohne auf Stile festgelegt zu sein.“ Eine Melange aus Lyrik, Drama, Musik und multimedialer Erinnerungskultur erwartet das Publikum im Kulturhaus Abraxas.

Weitere Aufführungen am 3. Oktober und 21. November jeweils um 19 Uhr, außerdem am 24. Oktober der Goethe-Abend „Auch ich in Arkadien“. Karten in der Bürgerinfo am Rathausplatz, der Buchhandlung am Obstmarkt.

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