i
Foto: Tobias Kruse, Ostkreuz
Foto: Tobias Kruse, Ostkreuz

Puppenspielerin Suse Wächter mit ihren „Helden des 20. Jahrhunderts“, von denen nun einige Brecht-Songs zum Besten geben.

Brechtfestival
02.03.2021

Suse Wächters Puppen geben Brechtliedern einen neuen Dreh

Von Birgit Müller-Bardorff

Pavarotti singt die Kinderhymne und Kohl von der belebenden Wirkung des Geldes. Suse Wächters „Helden des 20. Jahrhunderts“ lassen mit Brechtliedern aufhorchen.

Mit einem Gesichtsausdruck, der von staunendem Glück spricht, steht Luciano Pavarotti in der Alten Försterei, dem Fußballstadion des Bundesligisten Union Berlin, und schmettert die Worte „Anmut sparet nicht noch Mühe“ ins Arena-Rund. Die Schneeflocken, die um ihn herum wirbeln, geben der Szenerie etwas Irreales – und das ist es ja auch: Startenor Luciano Pavarotti ist längst tot, und in seinem Smoking die Kinderhymne von Bertolt Brecht singend wirkt er im Fußballstadion wie ein Fremdkörper. Noch dazu ist dieser Pavarotti nur circa 60 Zentimeter groß und aus Schaumstoff und Gips.

Neben ihm steht im schwarzen Steppmantel und mit schwarzer Baskenmütze seine Schöpferin, die Puppenmacherin und -spielerin Suse Wächter. Ihre Kunst nennt sie Animation, denn das hat, vom lateinischen Wort „Anima“ kommend, etwas mit Geist und Seele zu tun, und so versteht die Berlinerin sich auch: Sie haucht ihren Wesen Leben ein, indem sie sie beseelt.

Suse Wächters Kurzfilme beim Brechtfestival sind Kontrastprogramm zu Liederrevuen

Wie sie dies macht, ist derzeit beim digitalen Brechtfestival zu sehen in der Reihe „Helden des 20. Jahrhunderts singen Brecht“. In einem oder mehreren Kurzfilmen je Abend gibt Wächter bekannten ebenso wie seltener gehörte Liedern des Dichters einen neuen Dreh: Helmut Kohl singt, durchs Regierungsviertel fahrend, „Das Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“, Gott sitzt im Turm der Gethsemane-Kirche und sinniert „Die Welt gefällt mir nicht mehr“, und Rosa Luxemburg haucht am Landwehrkanal sehr berührend die „Ballade vom ertrunkenen Mädchen“ – Kontrastprogramm zu den Brecht/Weill-Liederrevuen, die man schon oft zu hören und zu sehen bekam.

„Es ist etwas Künstliches, das scheinbar lebt.“ So beschreibt Suse Wächter die Magie, die von ihren Figuren ausgeht. Mit dieser Art der Verfremdung sei sie ja auch „ganz nah bei Brecht“ und seiner Vorstellung von Theater, sagt die Berlinerin bei einem Telefongespräch. Dazu gehört auch, dass man sie als Spielerin und ihren Abstand zu der Rolle immer wahrnimmt. Faszinierend sind Wächters Puppen, die in ihrer Wohnung am Prenzlauer Berg entstehen, vor allem aber in ihrer Ambivalenz des Gesichtsausdrucks, in dem Changieren zwischen freundlich und gefährlich oder, wie bei der Brecht-Figur, zwischen Weisheit und Arroganz. „Seine leicht geschlossenen Augen drücken beides aus, und ich muss mit meinem Spiel das eine oder das andere hervorkitzeln“, sagt Suse Wächter.

Inspiration für die "Helden des 20. Jahrhunderts" war ein indisches Epos

Die Kurz-Videos, die sie für das Brechtfestival aufgenommen hat, sind ein „Ableger“, wie sie es nennt, aus einer dreistündigen Vorstellung. 2003 hatte sie in Zusammenarbeit mit den Festivalleitern Jürgen Kuttner und Tom Kühnel „Helden des 20. Jahrhunderts“, einem Reigen von prägenden Figuren der Geschichte, für die Bühne herausgebracht. Inspirieren ließ sich Wächter dazu vom indischen Helden-Epos „Mahabharata“, das sie in Indonesien mehrfach als Puppenspiel sah. Das Programm ist mittlerweile abgespielt, aber immer wieder kämen Figuren und Episoden daraus zum Einsatz, berichtet die deutschlandweit gefragte Puppenmacherin und -spielerin. Als Jürgen Kuttner nun anregte, einige dieser Figuren mit Brechtliedern auftreten zu lassen, habe sie erst einmal geschluckt, gesteht sie. Der Anspruch, der sich mit diesen Songs verbinde, auch die Abgedroschenheit einiger Evergreens hätten sie abgeschreckt. Aber dann war doch der Reiz, es noch einmal mit Brecht aufzunehmen und die Not, nicht live spielen zu können, sich auf das für sie neue Medium Film einlassen zu müssen, haben Wächter Türen für ihre Neugier und Kreativität geöffnet, damit die Puppen ihre Live-Magie im Film entfalten können.

Yoko Ono singt beim digitalen Brechtfestival Mäckie Messer

Ja, und auch mit der Abgedroschenheit mancher Songs ist Suse Wächter dann ganz gut zurechtgekommen. Den Eindruck hat man, wenn sie in amüsiertem Ton erzählt, wie sie Mäckie Messers Haifisch-Song in einer „wüsten Performance“ mit Yoko Ono in japanischer Sprache inszeniert hat. Beim Brechtfestival ist dieser Clip allerdings nicht zu sehen. Aber wer weiß, vielleicht lassen sich die Festivalmacher ja zu einem Bonustrack im nächsten Jahr hinreißen. Glaubt man den begeisterten Kommentaren im Chat des Livestreams, würden sich viele Zuschauer freuen.

Lesen Sie zum Brechtfestival auch:

Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

Facebook Whatsapp Twitter Mail