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Brechtfestival: Für das Brechtfestival vor der Kamera: Junge Schauspieler erzählen

Brechtfestival

Für das Brechtfestival vor der Kamera: Junge Schauspieler erzählen

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    Sophia Planckh, Paul Böhme und Daria Welsch (von links) gehören zum Ensemble des Theter in Augsburg.
    Sophia Planckh, Paul Böhme und Daria Welsch (von links) gehören zum Ensemble des Theter in Augsburg. Foto: Ulrich Wagner

    „Ich habe ausdrücklich angeordnet, die Szene erst zu probieren, wenn ich da bin“, ruft der Mann verärgert und schlägt beide Handflächen auf den Tisch. „Die Schauspielerin wollte nach Hause“, antwortet die junge Frau, die ihm gegenübersteht, mit verängstigter Stimme. „Sehr schön, nochmal von vorne und Paul, bitte nicht auf den Tisch hauen, das packt das Mikrofon nicht“, sagt Leif Young, der mit einer Kamera hinter dem jungen Mann steht. Was sich in der Konrad-Adenauer-Allee 9 in Augsburg im dritten Stock, eingekeilt zwischen Regalen, Kisten und einem Sofa, abspielt, ist kein echter Wutausbruch, sondern ein Videodreh für die Digital-Version des Brechtfestivals.

    Drei Schauspieler, ein Kameramann, ein Tontechniker, eine Regisseurin und eine dramaturgische Leiterin haben in etwas mehr als zwei Wochen rund 20 Stunden Videomaterial produziert, das für die Premiere am 3. März auf 45 Minuten gekürzt werden muss. Heute wird die letzte Szene des Stücks „Ruth“, das Bertolt Brechts Geliebte Ruth Berlau thematisiert, im Theter gedreht.

    Die Schauspieler des Theter-Ensembles sind vor der Kamera bereits Profis

    Paul beginnt erneut mit der Szene. Sie besteht aus sieben Sätzen, die in allen möglichen Varianten ausprobiert werden. Regisseurin Iris Schmidt ordnet an: „Okay, jetzt ist Sophia genervt von der Streiterei und Daria noch ein bisschen unterwürfiger als eben.“ Sofort ändern sich die Gesichtsausdrücke der beiden Schauspielerinnen, sie passen sich den Anforderungen an. Leif richtet die Kamera auf Darias Gesicht. „Und bitte!“ Erneut legen die drei Schauspieler los, Daria diesmal mit einem besonders weinerlichen Tonfall.

    Als Schauspieler ausgebildet ist keiner von ihnen. Stattdessen schauspielern die drei Studenten unbezahlt und nebenbei, bleiben so auch im Training für mögliche Vorsprechen. Da im Theter bereits vor der Pandemie immer wieder Vorschauen zu Theaterstücken abgedreht wurden, stehen sie alle nicht zum ersten Mal vor der Kamera.

    Ein altes Foto von Bertolt Brecht.
    Ein altes Foto von Bertolt Brecht. Foto: Staats- und Stadtbibliothek

    Das merkt man auch. Völlig gelassen blickt Sophia an der Kamera vorbei, die Leif direkt vor ihrem Gesicht positioniert hat. Immer wieder schreitet Leif ein und lässt Sequenzen wiederholen. Mal ist der Schatten des Mikrofons, das Neuzugang Timm hält, auf den Schauspielern zu sehen, mal möchte er einen Satz noch einmal hören. Cut.

    Andauernde Konzentration ist Voraussetzung für das Spiel vor der Kamera

    Regisseurin Iris tritt an den großen Flügeltisch, an dem die Szene gedreht wird und den Leif selbst gebaut hat, und gibt neue Anweisungen. Sie möchte jetzt, dass alle drei ihre Sätze übertrieben deutlich und langsam aufsagen. „B-Roll Five, Take Four“, sagt Leif, also die vierte Aufnahme des Tages. Die drei Schauspieler reden so langsam und monoton wie möglich. Als der letzte Satz gesagt ist, löst sich die Konzentration, alle lachen. „Hast du dir das so vorgestellt?“, fragt Leif. „Ja, so ungefähr“, sagt Iris und grinst. „Aber jetzt hätte ich das Ganze gern noch einmal schneller.“

    Als Schauspieler muss man es gewohnt sein, über mehrere Stunden hinweg immer und immer wieder den gleichen Satz zu sagen. Trotzdem ist es anstrengend. So haben Sophia, Daria und Paul in den vergangenen zwei Wochen ihre eigenen Strategien entwickelt, um konzentriert zu bleiben. Für sie könne es schon mal frustrierend sein, erzählt Sophia. „Wenn es der zehnte Versuch ist und ich es immer noch nicht so gemacht hab, wie ich das eigentlich will, nervt mich das schon.“ Doch sie versuche, diese Emotion mit in ihr Spiel zu integrieren oder in neue, positive Energie umzuwandeln.

    Wiederholungen können auch von Vorteil sein

    Paul geht anders an die Sache heran. „Für mich ist das eine mentale Sache“, erzählt er. „Ich denke mir immer: Je länger der Drehtag, desto besser das Ergebnis.“ Denn über den Tag hinweg werde man wärmer, komme in seine Rolle rein, reize seine Grenzen aus und erweitere seine Wohlfühlzone. „Wenn man einen Text oft spricht, kann er ja auch nur besser werden.“ Daria dagegen sieht in Wiederholungen eine immer besser werdende Vorbereitung auf ihre Rolle. Doch sie habe auch einfach ein Grundvertrauen, dass „die Art und Weise, wie ich das mache, schon passen wird“. Denn wenn etwas nicht passe, werde man es ihr schon sagen. „Ich gehe da von der theatralischen Seite ran und sehe darin einen Probenprozess. Bei einer Probe muss man ja auch immer liefern.“

    Während der Dreharbeiten probiert Kameramann Leif spontan verschiedene Winkel, filmt einmal Paul, dann wieder Sophia über die Schulter, dann geht er langsam im Kreis um den Tisch herum. „Ich hätte jetzt gern ein normales Gespräch zwischen euch“, sagt Iris. Übergangslos und ohne Vorbereitung gehen die Schauspieler darauf ein. Daria nimmt beiläufig einen Stift aus der Blechtasse, die auf dem Tisch steht, und fragt in die Runde: „Wie stellt ihr euch eigentlich Bertolt Brecht vor?“ „Bitte nochmal und heb ein bisschen deinen Kopf“, ordnet Leif an. Daria folgt der Anweisung und wiederholt den Satz im gleichen, natürlichen Ton, ohne die Kamera zu beachten, die ihrem Gesicht immer näher kommt.

    Das Theter-Ensemble im Jahr 2020 mit Heiner Müller „Der Horatier“.
    Das Theter-Ensemble im Jahr 2020 mit Heiner Müller „Der Horatier“. Foto: Christian Menkel

    Diese Natürlichkeit kommt nicht von alleine. „Mir wurde am Anfang gesagt, dass ich für den Film vom Theatralischen weg muss, weil ich zu viel mache“, erzählt Daria. Durch die fokussierte Linse fallen bereits Kleinigkeiten auf – große Bewegungen sind nicht notwendig. Paul sieht in dem Spiel vor der Kamera sowohl Fluch als auch Segen. „Man spielt für diesen einen Bildausschnitt, in dem man alles perfekt haben will. Andererseits muss man auf der Bühne immer präsent sein, während man bei Dreharbeiten auch mal kurz auf seinen Text schauen kann, wenn man nicht im Bild ist.“

    Filmdreh oder lieber Live-Auftritt? Die Schauspieler sind sich uneinig

    Und was macht nun mehr Spaß? Da sind sich die drei nicht ganz einig. Sophia vermisst zwar das Theaterpublikum und die spektakulären Bühnenbilder, bevorzugt für das Spiel an sich aber das Private vor der Kamera. „Man sieht da jedes Zucken der Augenbraue und jeden Gesichtsausdruck. Das kommt auf der Bühne gar nicht richtig rüber.“

    Daria dagegen bevorzugt die Livesituation zusammen mit dem Ensemble. Vor der Kamera fühle sich das Spiel verfälschter an als im Theater. Und auch Paul liebt die Euphorie, die er auf der Bühne spürt. „Aber gerade geht es nicht anders und ich habe viel vor der Kamera gestanden in den vergangenen Monaten.“

    Auch Leif und Iris haben beide unabhängig voneinander an verschiedenen Filmprojekten gearbeitet und entsprechende Erfahrungen. Zusammen mit Marion Alber hat Iris das Skript geschrieben. Viel Arbeit und Recherche haben sie investiert, um die Geliebte von Bertolt Brecht in ihrer Collage abzubilden. Am Ende soll der Beitrag eine Mischung aus verschiedenen Formen sein – Szenen, Dokumentationen, Interviews. „Wir wollten Infos über Ruth Berlau, wollten beschreiben, wie wir sie sehen, aber auch wie man sie sehen könnte. Das haben wir mit ihren Stücken und Texten zu einem Gebilde vermischt, mit dem wir uns alle wohlfühlen“, sagt Iris.

    Informationen über Ruth Berlau werden mit Interviews und ihren eigenen Texten vermischt

    Die letzte Aufnahme zeigt die drei Schauspieler, wie sie nebeneinander auf einer Bank sitzen, Käsebrote essen und Fragen zum abgedrehten Stück beantworten. „Was ist eure Lieblingsszene?“, fragt Leif. „Die Szene im Schnee“, antwortet Sophia und lächelt. „Und welches Wort fällt euch zu Ruth Berlau ein?“ Und noch während Leif die Kamera auf Pauls Gesicht richtet, wird der Bildschirm schwarz. Ein Wort vor dem Ende der Dreharbeiten hat der Akku aufgegeben – wenn das kein Zeichen für den wohlverdienten Feierabend ist.

    Das Brechtfestival findet vom 26. Februar bis zum 7. März rein digital statt. Zuschauer benötigen einen Festivalpass, der für den kompletten Festivalzeitraum gilt. Der Beitrag des Theter-Ensembles ist am Mittwoch, 3. März, erstmals zu sehen, und dann am 5. März sowie am 7. März nochmals.

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